150 Ex-Zöglinge wollen Geld von Kirche
Das Kloster Steyr-Gleink war drei Jahrzehnte lang ein gefürchtetes Erziehungsheim. Prügel und Quälereien standen an der Tagesordnung. Jetzt wird die Geschichte aufgearbeitet.
Schläge, Misshandlungen und Demütigungen gehörten viele Jahre im ehemaligen Erziehungsheim Steyr-Gleink in Oberösterreich zum Alltag. Der Historiker und Sozialwissenschafter Michael John von der Universität Linz spricht von einer höchst problematischen Einrichtung. „Gleink war in den 1950er- bis in die 1970er-Jahre eines der härtesten Heime in Österreich.“John, der auch die dunkle Vergangenheit des Schlosses Wilhelminenberg in Wien mit aufarbeitete, wurde vor rund einem Jahr von der Caritas beauftragt, die Geschichte des Heimes für Schwererziehbare zu beleuchten.
Bislang habe er rund 25 Interviews mit früherem Personal und Heimkindern geführt. In die zentralen Quellen im Landesarchiv habe er noch keine Einsicht erhalten, seit Monaten warte er auf einen entsprechenden Beschluss der Datenschutzkommission, so John. Dennoch zeige sich bereits ein Bild: „Schläge waren ein regelmäßiges Disziplinierungsmittel. Zu Tisch herrschte Schweigezwang und die Kinder mussten aufessen, manchmal sogar Erbrochenes.“Das Personal des Heimes, das im Eigentum der Caritas steht und jahrzehntelang von der Ordensgemeinschaft der Herz-Jesu-Missionare geführt wurde, habe „seine eigenen Regeln weitab von Kontrolle aufgestellt“, erklärt John.
So erlebte es auch einer der Zöglinge, der heute 46-jährige KarlHeinz Lindlgruber. Er spricht von roher Gewalt seitens mancher Erzieher wie auch durch Zöglinge, ein Jahr lang sei er sogar sexuell missbraucht worden. „Die Erzieher haben Übergriffe toleriert. Sie haben systematisch weggeschaut, weil sie eine ruhige Kugel schieben wollten“, sagt Lindlgruber im SN-Gespräch. Er berichtet von traumatischen Erlebnissen: Im Jahr 1978, als er im Alter von sechs Jahren mit drei seiner Brüder in die Erziehungsanstalt kam, sei er überhaupt der jüngste Zögling gewesen. Die insgesamt 220 Buben, die in großen Schlafsälen mit 25 Personen nächtigten, seien im Schnitt 12 bis 14 Jahre alt gewesen. Er habe oft ausgesehen „wie ein chinesischer Fleckerlteppich“. Lindlgruber spricht von unterlassener Hilfeleistung.
„Ich war in der Obhut der katholischen Kirche. Kein Täter wurde je zur Verantwortung gezogen“, kritisiert der Steyrer. 15.000 Euro Entschädigung seien ihm von der Klasnic-Kommission zugesprochen worden. In Anbetracht seiner Erlebnisse könne man diese Summe „nicht einmal als Schweigegeld bezeichnen“, schrieb Lindlgruber im April in einem offenen Brief an den Papst. Aufklärung würde auch heißen, Opfer und Täter an einen Tisch zu bringen, fordert der 46-Jährige darin.
Ihm zufolge arbeiten manche Täter heute noch im Sozialbereich mit Jugendlichen. Beispielsweise eine Erzieherin von damals, „die mir Watschen gegeben hat, dass ich im Gesicht geblutet habe“. Ein anderer Zögling aus dem Bezirk Steyr-Land berichtet von ähnlich traumatischen Erlebnissen: „Ich wurde von zwei Erziehern gehalten, nackt ausgezogen, in ein Kammerl gesperrt und mit Fäusten gedroschen.“
Der 65-jährige Franz Josef Stangl war von 1963 bis 1967 in SteyrGleink. Der gebürtige Grazer hat in seinem zweiten Buch „Der Klosterzögling. Die Jugend des Bastard“seine Zeit als Heimbewohner von Gleink aufgearbeitet. Stangl beschreibt darin ein System von Prügel und Gewalt, das vom Direktor ausging und bis zu den Zöglingen reichte. Die Kinder seien mit Ruten, mit Fäusten, mit Tritten und mit Eisenringen gequält und bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen worden.
Pater Andreas Steiner, in Salzburg ansässiger Provinzial der Missionare Herz Jesu, war trotz wiederholter Anfrage für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Franz Kehrer, Direktor der Caritas in Oberösterreich, betont, man wolle sich der Vergangenheit in Gleink stellen. Diese müsse Mahnung für die Zukunft sein. „Wir wollen zudem ein sichtbares Zeichen gegen das Vergessen setzen. In welcher Form das geschieht, in Form einer Gedenktafel oder eines anderen Zeichens, das werden wir im Zuge der Studie klären“, sagt Kehrer.
150 ehemalige Heiminsassen in Steyr-Gleink haben mittlerweile bei der Diözese Linz eine Entschädigung beantragt. Im ehemaligen Kloster Gleink war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Erziehungsheim eingerichtet worden. Die Missionare Herz Jesu führten das Haus von 1950 bis 1989. Im Jahr 2009 wurde das Heim überhaupt geschlossen. Seit 2015 sind in einem Teil des Klostergebäudes Asylbewerber untergebracht.