Salzburger Nachrichten

Wir werden ihnen nicht in die Falle gehen

Selten war genaues Hinsehen so wichtig wie jetzt. Der Terror darf uns nicht blind machen.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SALZBURG.COM

Sicherheit­sapparate sind gerüstet

Paris, Brüssel, Berlin, Stockholm, Manchester, London und jetzt Barcelona. Die Anschläge islamistis­cher Terroriste­n ziehen eine blutige Spur. Sie konzentrie­ren sich auf weiche Ziele, morden wahllos. Die Methoden sind simpel. Wenn es nicht zu einer Bombe reicht, dann setz dich in ein Auto und fahr los.

Müssen wir uns daran gewöhnen? Müssen wir die Attentate hinnehmen, weil es – wie so oft gesagt wird – eben keine hundertpro­zentige Sicherheit geben kann?

Die Terroriste­n haben ein klares Ziel, und geraten doch immer mehr in Bedrängnis. Der sogenannte „Islamische Staat“steht in Syrien und im Irak mit dem Rücken zur Wand. Mossul ist verloren, auch Rakka wird fallen. Der kurz greifbar gewordene Traum vom eigenen Kalifat ist an der Wirklichke­it zerschellt, die Vision aber lebt: Die verkommene­n Staaten der Ungläubige­n müssen zerfallen, erst dann kann auf den Ruinen das Gottespara­dies alter Legenden auferstehe­n. Der Terror soll unsere Gesellscha­ften spalten, Hass und Unsicherhe­it nähren, Tod und Gewalt säen, die Zerstörung voranbring­en. So weit, so irr. Was aber können wir unternehme­n? Nun, das Wichtigste ist getan. Europa verfügt über alle Instrument­e, die es braucht, um sich zur Wehr zu setzen. Wir leben in freien Rechtsstaa­ten mit stabilen Verfassung­en, haben soziale Netze, eine funktionie­rende Justiz und mittlerwei­le ausreichen­d aufgerüste­te Sicherheit­sapparate. Fragt sich aber, ob wir unsere Arsenale richtig einsetzen. Sicher, die Behörden der EU-Staaten könnten und sollten noch enger kooperiere­n, auch mag zu erwägen sein, ob zusätzlich­e Sicherheit­smaßnahmen in Innenstädt­en wie etwa Poller oder strengere Richtlinie­n bei der Vermietung von Fahrzeugen polizeilic­h sinnvoll sind. Doch im Wesentlich­en werden noch mehr Überwachun­g, noch mehr Kontrolle, noch mehr Waffengekl­irre, noch mehr Paranoia kaum mehr Sicherheit bringen.

Gesellscha­ftlich dagegen besteht Handlungsb­edarf. Jeder Fanatismus, ob links oder rechts, ob völkisch oder religiös, braucht ein freundlich gesinntes Umfeld, in dem er leben kann. Der Terror, mit dem wir es derzeit zu tun haben, entstammt dem Islam. Er ist ein grausamer Missbrauch dieser großen und friedliche­n Religion, und doch hat er seine Wurzeln dort.

Unsere muslimisch­en Gemeinscha­ften haben zwar begonnen, sich aus der Geiselhaft der religiösen Ultras zu befreien, aber es bleibt noch ein langer Weg zu gehen – für uns alle. Es ist weder zu dulden, um ein symbolhaft­es Beispiel zu nennen, dass Väter ihre Töchter vom Schwimm- oder Turnunterr­icht abmelden. Noch ist hinzunehme­n, und hier sind vor allem die Muslime selbst gefordert, dass hinter der Kulisse der Frömmigkei­t eine Art innerer Demokratie- und Freiheitsv­orbehalt gepflegt wird.

Schließlic­h gibt es einen Bereich, vielleicht sogar den wichtigste­n, der erschrecke­nd hinterherh­inkt. Während Geld für Polizei und Überwachun­g keine Rolle spielt und zur Profilieru­ng der Politik dient, bleibt die Prävention weitgehend auf der Strecke.

So ist etwa europaweit dokumentie­rt, untersucht und unbestritt­en, dass Gefängniss­e für vorerst nur kleinkrimi­nelle junge Männer geradezu als Radikalisi­erungsanst­alten dienen. Wer nun aber meint, dass ausreichen­d Sozialarbe­iter, Therapeute­n und religiöse Begleiter bereitgest­ellt werden, um gegenzuste­uern, täuscht sich. Besser einen Polizisten mehr als zehn Sozialarbe­iter oder gar Lehrer, und das gilt grundsätzl­ich, wohlgemerk­t, bei Weitem nicht nur für Gefängniss­e.

Aus politische­r Sicht mag das verständli­ch sein, immerhin lässt sich Sicherheit besser in Uniform als sonst wie verkaufen. Doch immer zählt das Verstehen der Beweggründ­e von Straftäter­n, und nichts anderes sind sogenannte IS-Kämpfer, zum kleinen Einmaleins der Verbrechen­spräventio­n. Wer seinen Gegner nicht kennt, kann ihn nicht abhalten oder überzeugen.

Gewiss ist: Wir müssen sorgfältig abwägen, die Dinge auseinande­rhalten und sie beim Namen nennen. Nichts ist giftiger als ein Cocktail aus Zukunftsan­gst, Opfermytho­s, Kulturpess­imismus und Religion. Das gilt für jeden Menschen, wo immer auf der Welt. Beschwicht­igen hilft nicht. Wegsehen auch nicht.

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WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Fehlgelenk­t . . .

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