Wir werden ihnen nicht in die Falle gehen
Selten war genaues Hinsehen so wichtig wie jetzt. Der Terror darf uns nicht blind machen.
Sicherheitsapparate sind gerüstet
Paris, Brüssel, Berlin, Stockholm, Manchester, London und jetzt Barcelona. Die Anschläge islamistischer Terroristen ziehen eine blutige Spur. Sie konzentrieren sich auf weiche Ziele, morden wahllos. Die Methoden sind simpel. Wenn es nicht zu einer Bombe reicht, dann setz dich in ein Auto und fahr los.
Müssen wir uns daran gewöhnen? Müssen wir die Attentate hinnehmen, weil es – wie so oft gesagt wird – eben keine hundertprozentige Sicherheit geben kann?
Die Terroristen haben ein klares Ziel, und geraten doch immer mehr in Bedrängnis. Der sogenannte „Islamische Staat“steht in Syrien und im Irak mit dem Rücken zur Wand. Mossul ist verloren, auch Rakka wird fallen. Der kurz greifbar gewordene Traum vom eigenen Kalifat ist an der Wirklichkeit zerschellt, die Vision aber lebt: Die verkommenen Staaten der Ungläubigen müssen zerfallen, erst dann kann auf den Ruinen das Gottesparadies alter Legenden auferstehen. Der Terror soll unsere Gesellschaften spalten, Hass und Unsicherheit nähren, Tod und Gewalt säen, die Zerstörung voranbringen. So weit, so irr. Was aber können wir unternehmen? Nun, das Wichtigste ist getan. Europa verfügt über alle Instrumente, die es braucht, um sich zur Wehr zu setzen. Wir leben in freien Rechtsstaaten mit stabilen Verfassungen, haben soziale Netze, eine funktionierende Justiz und mittlerweile ausreichend aufgerüstete Sicherheitsapparate. Fragt sich aber, ob wir unsere Arsenale richtig einsetzen. Sicher, die Behörden der EU-Staaten könnten und sollten noch enger kooperieren, auch mag zu erwägen sein, ob zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen in Innenstädten wie etwa Poller oder strengere Richtlinien bei der Vermietung von Fahrzeugen polizeilich sinnvoll sind. Doch im Wesentlichen werden noch mehr Überwachung, noch mehr Kontrolle, noch mehr Waffengeklirre, noch mehr Paranoia kaum mehr Sicherheit bringen.
Gesellschaftlich dagegen besteht Handlungsbedarf. Jeder Fanatismus, ob links oder rechts, ob völkisch oder religiös, braucht ein freundlich gesinntes Umfeld, in dem er leben kann. Der Terror, mit dem wir es derzeit zu tun haben, entstammt dem Islam. Er ist ein grausamer Missbrauch dieser großen und friedlichen Religion, und doch hat er seine Wurzeln dort.
Unsere muslimischen Gemeinschaften haben zwar begonnen, sich aus der Geiselhaft der religiösen Ultras zu befreien, aber es bleibt noch ein langer Weg zu gehen – für uns alle. Es ist weder zu dulden, um ein symbolhaftes Beispiel zu nennen, dass Väter ihre Töchter vom Schwimm- oder Turnunterricht abmelden. Noch ist hinzunehmen, und hier sind vor allem die Muslime selbst gefordert, dass hinter der Kulisse der Frömmigkeit eine Art innerer Demokratie- und Freiheitsvorbehalt gepflegt wird.
Schließlich gibt es einen Bereich, vielleicht sogar den wichtigsten, der erschreckend hinterherhinkt. Während Geld für Polizei und Überwachung keine Rolle spielt und zur Profilierung der Politik dient, bleibt die Prävention weitgehend auf der Strecke.
So ist etwa europaweit dokumentiert, untersucht und unbestritten, dass Gefängnisse für vorerst nur kleinkriminelle junge Männer geradezu als Radikalisierungsanstalten dienen. Wer nun aber meint, dass ausreichend Sozialarbeiter, Therapeuten und religiöse Begleiter bereitgestellt werden, um gegenzusteuern, täuscht sich. Besser einen Polizisten mehr als zehn Sozialarbeiter oder gar Lehrer, und das gilt grundsätzlich, wohlgemerkt, bei Weitem nicht nur für Gefängnisse.
Aus politischer Sicht mag das verständlich sein, immerhin lässt sich Sicherheit besser in Uniform als sonst wie verkaufen. Doch immer zählt das Verstehen der Beweggründe von Straftätern, und nichts anderes sind sogenannte IS-Kämpfer, zum kleinen Einmaleins der Verbrechensprävention. Wer seinen Gegner nicht kennt, kann ihn nicht abhalten oder überzeugen.
Gewiss ist: Wir müssen sorgfältig abwägen, die Dinge auseinanderhalten und sie beim Namen nennen. Nichts ist giftiger als ein Cocktail aus Zukunftsangst, Opfermythos, Kulturpessimismus und Religion. Das gilt für jeden Menschen, wo immer auf der Welt. Beschwichtigen hilft nicht. Wegsehen auch nicht.