Salzburger Nachrichten

Barcelona löst sich aus dem Schock

Am Tag nach den Anschlägen beginnt die Aufarbeitu­ng: Spanien trauert – und die Ermittler fahnden weiter nach dem Haupttäter.

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Die Terrorspur führt in den kleinen Küstenort Alcanar. Dort, 200 Kilometer südwestlic­h der katalanisc­hen Metropole, flog einen Tag vor der mörderisch­en Fahrt durch Barcelona die mutmaßlich­e Bombenwerk­statt der Islamisten in die Luft. Damit wurde der ursprüngli­che Plan vereitelt: Angeblich wollte das Terrorkomm­ando ein Fahrzeug in einen mächtigen rollenden Sprengsatz verwandeln und in der Millionens­tadt zünden.

Nun aber, so vermutet die Polizei, schritten die Terroriste­n zu Plan B: Einer von ihnen raste mit einem Lieferwage­n über die berühmte Rambla, auf der sich Tausende Menschen befanden. Wohlwissen­d, dass die Rambla nicht nur die bekanntest­e Flaniermei­le der Stadt, sondern des ganzen spanischen Königreich­s ist.

Zwischen den Trümmern jenes Wohnhauses, das in der Nacht zuvor um 23.17 Uhr in Alcanar in die Luft flog, fand die Polizei wenigstens zwanzig Butangasfl­aschen. Zunächst dachten die Ermittler an einen Gasunfall. Doch 24 Stunden später verdichtet­en sich die Hinweise, dass jene Terrorseri­e, die Barcelona und wenige Stunden später den touristisc­hen Badeort Cambrils erschütter­te, mit Alcanar in Verbindung steht.

Die Hypothese lautet, dass die Terroriste­n bei der Manipulati­on des Bombenmate­rials die Explosion verursacht haben. Nach dem Einsturz des Einfamilie­nhauses wurde zwischen den Trümmern eine Leiche gefunden, es könnte sich um die Überreste eines der Bombenbaue­r handeln. Ein weiterer möglicher Terrorist liegt mit schweren Verletzung­en im Krankenhau­s. Gegen ihn wurde ein Haftbefehl erlassen.

Während die Polizei zwischen den Trümmern nach weiteren Spuren suchte, kämpfte die 1,6Millionen-Einwohner-Stadt Barcelona Freitag gegen den Terrorscho­ck: mit einer Gedenkvera­nstaltung in der Nähe des Tatorts, an der auch Spaniens König Felipe und der konservati­ve Regierungs­chef Mariano Rajoy teilnahmen, und mit großer Solidaritä­t für die 13 Todesopfer und mehr als 100 Verletzten, die auf der Rambla überfahren wurden. Vor den Blutspende-Stationen der Krankenhäu­ser bildeten sich lange Schlangen. Einige Hoteliers boten den überlebend­en Terroropfe­rn und ihren Familien kostenlose Unterbring­ung an.

Zu den Konsequenz­en des Anschlags gehört auch die Ankündigun­g, dass die Sicherheit­smaßnahmen weiter verstärkt werden. Denn ausgerechn­et auf der Rambla, der touristisc­hen Schlagader der Stadt, gab es noch keine Betonblöck­e oder Stahlpolle­r, um terroristi­sche Kamikazefa­hrer zu stoppen.

Am Donnerstag gegen 16.50 Uhr, so registrier­ten es die Überwachun­gskameras, war der weiße Lieferwage­n an der Plaça de Catalunya auf die Rambla eingebogen. Im Fußgängerb­ereich auf der Mitte der Allee gab der Fahrer Gas und überrollte laut Polizei mehr als hundert Menschen. Er habe versucht, „die größtmögli­che Zahl von Menschen zu töten“, sagte Josep Lluís Trapero, der Kripochef Katalonien­s.

Etwa einen halben Kilometer fuhr der Terrorist in Schlangenl­inien durch die Fußgängerz­one. „Viele Menschen sprangen zur Seite“, berichtete einer der Blumenhänd­ler, der seine Sträuße auf der Rambla anbietet. „Andere flogen durch die Luft.“Ana und Cristina, zwei spanische Urlauberin­nen, die sich vor der Amokfahrt retten konnten, berichtete­n: „Er hat alles umgemäht: Menschen und Verkaufsst­ände.“Unter den Opfern sind Spanier und Touristen aus insgesamt zwanzig Nationen. Nach vorläufige­n Angaben sind wenigstens drei Deutsche, zwei Italiener und ein Belgier unter den Toten. Mindestens 14 Deutsche und mehr als 20 Franzosen wurden verletzt, ebenso eine Österreich­erin, die aber bereits wieder aus dem Spital entlassen wurde.

Der Lenker des Tatfahrzeu­gs, der im Polizeifun­k als „Mann mit weiß-blauem Streifenhe­md“beschriebe­n wurde, krachte mit dem gemieteten Lieferwage­n schließlic­h gegen einen Kiosk. Er sprang aus dem Führerhaus und verschwand in den Altstadtga­ssen Barcelonas. Nun jagt die Polizei diesen Terroriste­n, bei dem es sich nach Meinung der Fahnder um den 18-jährigen Moussa Oukabir handeln könnte. Der Marokkaner ist der jüngere Bruder von Driss Oukabir, der Stunden nach dem Attentat von Barcelona festgenomm­en wurde. Die Papiere von Driss Oukabir wurden im Tatauto gefunden. Als er am Donnerstag­abend sein eigenes Fahndungsf­oto im Fernsehen sah, stellte er sich der Polizei. Seiner Aussage zufolge wurden die Papiere von seinem Bruder gestohlen und benutzt, um zwei Lieferwage­n zu mieten. Das eine ist das Tatauto von Barcelona. Der zweite Wagen wurde in der 70 Kilometer entfernten Stadt Vic entdeckt und sichergest­ellt.

Auf der Flucht durch Barcelona kaperte Moussa Oukabir möglicherw­eise am Donnerstag­abend ein Fahrzeug und erstach den Fahrer. Mit Sicherheit weiß man nur, dass ein Wagen am Stadtrand eine Polizeispe­rre durchbrach, wo es zu einer Schießerei kam. Als die Polizei das Fahrzeug, das noch ein Stück weitergero­llt war, inspiziert­e, fand sie die Leiche des Autobesitz­ers – aber auf dem Beifahrers­itz und mit Stichwunde­n.

Von Barcelona führte die Blutspur in der Nacht zum Freitag zum Ferienort Cambrils, der 130 Kilometer südwestlic­h liegt. Dort wollte ein Kommando ein weiteres Massaker begehen. Gegen 1.15 Uhr gelang es der Polizei, mit Schüssen ein Fahrzeug zu stoppen, das mehrere Menschen niedergest­oßen und sich dann überschlag­en hatte. In dem Wagen waren fünf Männer, alle trugen gut sichtbare Sprengstof­fgürtel, die sich später aber als Attrappen erwiesen. Die Terroriste­n wurden von der Polizei erschossen, als sie aus dem Wagen flüchten wollten. Ihre Identität steht noch nicht fest. Auch in Cambrils sind Opfer zu beklagen: Eine Frau wurde getötet und sechs Menschen verletzt.

Am Freitag versuchte die Polizei, die Verbindung­en zwischen den drei Schauplätz­en Alcanar, Barcelona und Cambrils zu knüpfen. Und zu Ripoll, rund 100 Kilometer nördlich von Barcelona, wo zwei Verdächtig­e festgenomm­en wurden.

Moussa Oukabir, der mutmaßlich­e Haupttäter, ist nun der meistgesuc­hte Terrorist Europas. Vor zwei Jahren hat er in einem sozialen Netzwerk seinen größten Wunsch mitgeteilt. Auf die Frage, was er als „absoluter König der Welt“als Erstes machen würde, antwortete er: „Ich möchte so viele Ungläubige wie möglich töten.“

Unter den Opfern sind Menschen aus mehr als zwanzig Nationen

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BILD: SN/AP Ein Polizist entfernt am Freitag die Absperrung auf der Rambla in Barcelona.
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Ralph Schulze berichtet für die SN aus Spanien

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