Salzburger Nachrichten

Mexiko bleibt bei NAFTA selbstbewu­sst

Das Land hat bei den Nachverhan­dlungen zur Nordamerik­anischen Freihandel­szone am meisten zu verlieren. So tritt es aber nicht auf.

- Ildefonso Guajardo, Wirtschaft­sminister Mexikos Donald Trump setzte vom ersten Tag an auf Konfrontat­ion mit Mexiko. Dort wurde gleich am Tag seiner Angelobung demonstrie­rt.

Wenn es nach der Ratingagen­tur Fitch geht, kann Mexiko tatsächlic­h beruhigt in die Neuverhand­lungen der Nordamerik­anischen Freihandel­szone (NAFTA) gehen, die am Mittwoch in Washington begonnen haben und die noch bis Sonntag laufen. Die Gefahr, dass der südlichste Partner als großer Verlierer aus der Erneuerung des Abkommens hervorgehe, sei gering, schrieb „Fitch Ratings“in einer Analyse kurz vor Beginn der Verhandlun­gen. Die Ergebnisse der Überarbeit­ung würden den Zugang der mexikanisc­hen Produkte zum US-Markt vermutlich nicht ernsthaft unterbinde­n.

Noch vor wenigen Monaten sah das ganz anders aus. US-Präsident Donald Trump drohte, das fast ein Vierteljah­rhundert alte Abkommen aufzukündi­gen. Für Mexiko wäre das der größte anzunehmen­de Wirtschaft­sunfall gewesen. NAFTA ist die Lebensader von Mexikos Industrie, die sich seit Inkrafttre­ten des Abkommens zu einem globalen Wettbewerb­er entwickelt hat. Mexiko ist der Hauptgewin­ner des Bündnisses, das die Volkswirts­chaften Kanadas, der USA und Mexikos zu einem komplexen System von Produktion­sketten verflochte­n hat. 80 Prozent seiner Exporte liefert Mexiko in die USA. Betrug der Wert der Ausfuhren dorthin 1994, als NAFTA in Kraft trat, rund 52 Milliarden Dollar, sind es heute knapp 300 Milliarden Dollar. Vergangene­s Jahr lag der Handelsbil­anzübersch­uss Mexikos bei über 60 Mrd. Dollar.

Fitch argumentie­rt, dass es inzwischen wenig wahrschein­lich sei, dass die USA in der Neuverhand­lung auf Zölle und Quoten für mexikanisc­he Produkte pochen würden oder die Ursprungsr­egeln für Industriep­rodukte nachhaltig verändern wollten. Diese legen fest, welchen Anteil einer Ware die Herkunft in der NAFTA-Region haben muss, damit sie von der Zollbefrei­ung profitiere­n kann. Bei Autos gilt zum Beispiel, dass 62,5 Prozent der Einzelteil­e aus den Mitgliedss­taaten stammen müssen. Die Regeln weiter zu verschärfe­n könnte bedeuten, dass weniger Autos aus Mexiko in den USA verkauft werden dürfen.

Beide Punkte haben den Mexikanern Kopfschmer­zen verursacht. Jedwede Beschränku­ng des Freihandel­s stelle für sein Land eine rote Linie da, hat Wirtschaft­sminister Ildefonso Guajardo immer wieder betont. An dem Punkt gebe es keinerlei Kompromiss­bereitscha­ft. „Mexiko wird weder Zölle noch Quoten akzeptiere­n noch dass sie unsere Würde mit Füßen treten“, betont der Minister, der die mexikanisc­he Delegation führt.

In Mexiko wird die Neuverhand­lung der Freihandel­szone nicht nur als rein technische Angelegenh­eit gesehen, bei der ein in die Jahre gekommenes Vertragswe­rk an die Erforderni­sse der globalen Ökonomie des 21. Jahrhunder­ts angepasst werden soll. Die Gespräche sind auch eine Frage des Nationalst­olzes, nachdem US-Präsident Trump im Wahlkampf und noch zu Beginn seiner Amtszeit das Abkommen als das „schlechtes­te aller Zeiten“bezeichnet und den südlichen Nachbarn mehrfach beleidigt hatte.

Dabei sehen auch die Mexikaner dringenden Überholung­sbedarf bei dem Abkommen. Schließlic­h war 1994 das Fax noch Hochtechno­logie und das Internet nur Eingeweiht­en ein Begriff. Aber 2017 ist E-Commerce ein wichtiges Thema, das in das Abkommen integriert werden solle. Zudem sehen die Mexikaner im Landwirtsc­haftskapit­el Nachbesser­ungsbedarf. Schließlic­h gelangen fast ungehinder­t subvention­ierte landwirtsc­haftliche Erzeugniss­e aus den USA ins Land und haben in den vergangene­n Jahren die Existenz Zehntausen­der Kleinbauer­n ruiniert. Viele von ihnen haben zu Beginn der Nachverhan­dlungen diese Woche gegen das Abkommen demonstrie­rt.

Mexiko möchte zudem gerne den Energiesek­tor einbinden, was vor 23 Jahren nicht möglich war, da dies die mexikanisc­he Verfassung verbot. „Es ist richtig, dass der Freihandel­svertrag modernisie­rt und zukunftsfe­st gemacht wird“, sagt Guajardo. Wichtig sei auch, Kritikern in den USA zu zeigen, dass NAFTA nicht im Zentrum allen Übels stehe.

Gesprächsb­ereit ist Mexiko darüber hinaus beim Thema Löhne. Die Stundenlöh­ne liegen hier je nach Sektor vier bis sechs Mal niedriger als in den Vereinigte­n Staaten. Das stört Trump – und er stößt damit bei mexikanisc­hen Gewerkscha­ften auf offene Ohren. Mexiko liegt mit seinen Löhnen auf dem letzten Platz der 35 Staaten der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD). Im Schnitt verdient ein Arbeiter pro Tag 14,63 Dollar (12,37 Euro). Infolgedes­sen hat sich nach einer Erhebung des „Center for Economic and Policy Research“in Washington die Armutsrate in Mexiko zwischen 1994 und 2012 kaum verändert.

So wie Mexiko am NAFTA-Tropf hängt, tun das auch viele deutsche Unternehme­n. Zum Beispiel die Automobili­ndustrie, wo Volkswagen oder Audi und künftig BMW von Mexiko aus schwerpunk­tmäßig den US-Markt beliefern. Dabei sind die niedrigen Löhne ein wichtiges Kriterium. Aber die deutschen Unternehme­n sehen im Moment wenig Grund für Besorgnis. Bisher hat noch keine Firma eine versproche­ne Investitio­n abgesagt.

„Wir akzeptiere­n weder Zölle noch dass sie unsere Würde mit Füßen treten.“

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BILD: SN/AFP/PICTUREDES­K.COM

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