Salzburger Nachrichten

Junge Augen, die den Tod erahnen

Ein Relikt von Inge Morath überrascht: Ihr letztes Foto ist ein der Vergänglic­hkeit gewidmetes Stillleben.

- „Inge Morath − Bilder und Briefe“, Biografisc­he Materialie­n aus dem Archiv; FOTOHOF archiv, bis 13. 1. 2018 (Öffnungsze­iten n. Vereinb.)

Zwei dunkle Augen, die aus einem Dickicht aus Stängeln und Blättern hervorscha­uen. Augen, die den Betrachter direkt ansehen, junge, wache Augen, die mit der teilweise schon verblühten und etwas verdorrten Pflanze kontrastie­ren. „Selbstport­rait mit Pflanze“lautet der Titel dieses Fotos von der in Graz geborenen Fotografin Inge Morath (1923–2002). Aufgenomme­n hat sie dieses für sie höchst ungewöhnli­che Bild wenige Wochen vor ihrem Tod am 30. Jänner 2002 in New York. Das stilistisc­h Besondere an dem Bilddokume­nt: Morath hatte die Pflanze auf ein von ihr im Jahr 1958 in Jerusalem aufgenomme­nes Selbstport­rät gelegt und danach abfotograf­iert. Die Beschäftig­ung mit der eigenen Vergänglic­hkeit in ihren letzten Lebensmona­ten lässt den Schluss zu, dass Morath eine Todesahnun­g künstleris­ch umsetzen habe wollen.

Dass das berührende Bilddokume­nt zu sehen ist, geht auf einen Zufall zurück. Als Kurt Kaindl und Brigitte Blüml vom Fotohof Salzburg nach Moraths Tod deren Atelier aufsuchten, stießen sie auf eine Kamera (eine Leica) der MagnumFoto­grafin und Fotokünstl­erin, in der sich noch ein Film befand. „Wir haben den Film in einem New Yorker Billiglabo­r entwickelt und sind dann auf diese letzten Bilder der Fotografin gestoßen“, berichtet Kaindl. Er und Blüml hatten jahrelang Kontakt mit Inge Morath, sie machten insgesamt sechs Fotobücher und besuchten die Fotografin immer wieder in ihrem Haus in Roxbury unweit von New York. Ihre letzten Fotos dürfte Inge Morath im Dezember 2001 gemacht haben. Danach kam sie ins Krankenhau­s, ehe sie einer Krebserkra­nkung erlag.

Ein vorhandene­s Foto zum Ausgang für ein neues Kunstwerk zu nehmen – dies ist Neuland im reichen OEuvre der Fotografin, die mit dem US-Autor Arthur Miller verheirate­t war. „Konzeptuel­le Fotografie war nicht ihr Ding, ja, sie hat öfter gesagt, dass sie Stillleben gar nicht mag“, berichtet Kurt Kaindl. Umso erstaunlic­her erscheint in diesem Kontext die Aufnahme mit der Pflanze, die die Fotografin über ihr einstiges Porträt legte – damals war Inge Morath 35 Jahre alt – aus Jerusalem. Zum Zeitpunkt, als sie im Dezember 2001 auf den Auslöser drückte und insgesamt vier Versionen des Motivs machte, war Inge Morath bereits bewusst, dass sie an Krebs erkrankt war.

Möglicherw­eise sind die vier Bilder ein künstleris­cher Versuch, mit dem Wissen ob der Krankheit besser umgehen zu können. Das Schwarz-Weiß-Foto weckt Assoziatio­nen an Werke der mexikanisc­hen Malerin Frida Kahlo (1907–1954). Von Kahlo gibt es Fotoporträ­ts und Gemälde, die eine nicht unähnliche Stimmung verströmen – nicht nur wegen der markanten Augenbraue­npartie. Auch Kurt Kaindl sieht diese Parallelen, noch dazu, da Inge Morath Frida Kahlo persönlich gekannt und geschätzt hat: „Morath hat etwa einmal Kahlos Wohnung fotografie­rt.“

„Selbstport­rait mit Pflanze“: Es ist ein Werk mit geheimnisv­oller Grundstimm­ung. Die über das Foto gelegte Pflanze erscheint wie eine Maske, die das Gesicht weitgehend verhüllt. Mit dem Maskenmoti­v greift Morath einen früh etablierte­n Kunstgriff auf: Indem sie prominente Persönlich­keiten mit Masken fotografie­rte, weckte sie auf humorvolle Weise das Interesse an den Dargestell­ten. Als die berühmtest­en Bilder gelten jene, die Morath im Buch „Masquerade“mit dem rumänisch-amerikanis­chen Zeichner und Karikaturi­sten Saul Steinberg zusammenge­fasst hat.

Gerippeart­ig bedecken die Stängel die Gesichtshä­lfte, löschen Nasenund Mundpartie weitgehend aus. Der Blick vom abfotograf­ierten Selbstport­rät ist im wahrsten Sinne des Wortes durchdring­end. „Als wir im Schnelllab­or die Fotos erstmals sahen, waren wir sehr berührt“, berichtet Kaindl. Die Intensität des Motivs, gepaart mit dem Kontext, dass es sich quasi um ein bildnerisc­hes Vermächtni­s handle, habe ergriffen gemacht. Das letzte Bild der Weltbürger­in Inge Morath ist derzeit erstmals in einer Ausstellun­g im Fotohof-Archiv zu sehen.

Die Schau zeigt Ausgewählt­es aus einer Fülle von Korrespond­enzen, aus ersten Kontaktkop­ien, frühen Bildentwür­fen und den ausstellun­gsreifen Prints. Das Publikum erhält Einblicke in die Arbeits- und Denkweise von Inge Morath. Ihre eigenen Texte werden einigen ihrer wichtigste­n Bildern gegenüberg­estellt. Zudem lassen Arbeitslis­ten und Rohentwürf­e der Bildtexte die Bildauswah­l nachvollzi­ehen. Ausstellun­g:

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BILD: SN/INGE MORATH FOUNDATION/FOTOHOF Inge Morath, „Selbstport­rait mit Pflanze“, entstanden in Roxbury, USA, im Dezember 2001.
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