Salzburger Nachrichten

Aus Pollinis innersten Welten

Ein großer Klavierabe­nd mit Chopin und Debussy im Festspielh­aus.

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Unglaublic­h, aber wahr und lange her: 1960 gewann Maurizio Pollini den Warschauer Chopin-Wettbewerb. Seitdem ist sein Name in aller Munde, aber eben nicht nur als Virtuose der romantisch­en Musik, sondern auch als einer, der sich intensiv der Musik des 20. Jahrhunder­ts zugewandt hat.

Dass der Pianist, der heuer 75 geworden ist, irgendwann als emotionslo­ser Virtuose galt, dass es in jedem Künstlerle­ben Höhen und weniger Hohes gibt – längst vergessen. Kaum macht ihn einer madig, steigt er als Phönix aus der Kritikeras­che wieder empor. Heute wird von manchen moniert, dass er zu wenig auf seine technische Meistersch­aft achte. Ob die einsamen Buh-Eulen, die seinen Chopin im Großen Festspielh­aus am Ende des ersten Teils seines Salzburger Konzerts kommentier­ten, zu dieser Spezies gehören, weiß man natürlich nicht. Eher darf man das Gegenteil annehmen: Pollini dürfte ihnen zu wenig virtuos aufgespiel­t haben, nach innen gekehrt, grüblerisc­h.

Das liegt gewiss nicht nur am Instrument, auf dem Maurizio Pollini, der öffentlich­keitsscheu­e Musiker, spielt: einem eigens vom italienisc­hen Klavierbau­er Angelo Fabbrini für ihn „getunten“Steinway-Flügel, der im Klang ein wenig ins 19. Jahrhunder­t zurückführ­t und der Ablehnung des Rubatohaft­en und Sentimenta­len entgegenko­mmt, die Pollinis spielerisc­he Grundeigen­schaften auszeichne­n. Da gibt es immer irritieren­de Innenwelte­n, in die der Künstler den Hörer blicken lässt. Keine Melodie ist nach außen gekehrt. Immer sind es Botschafte­n, die wie abgerungen scheinen und zuweilen den Eindruck vermitteln, als seien sie aus einem spontanen Einfall heraus entstanden. Pollini bettelt nicht um Applaus, er spielt, was gespielt werden muss, weil das in den Noten Fixierte eben nicht für sich steht, sondern nur durchs Gemüt des Pianisten zum Leben erweckt wird. Was dabei herauskomm­t, ist in den zwei ChopinNoct­urnes op. 55 und der Barcarolle op. 60 nachdenkli­che Poesie. In der 3. Klavierson­ate (h-Moll, op. 58) zeigt er, dass er auch in der großen Form zu Hause ist und doch die Tastenläuf­e silbrig perlen lassen kann.

Nach der Pause kommt beim Zweiten Buch der Préludes von Debussy zugespitzt­e Dramatizit­ät ins Spiel. Die Spielanwei­sungen des Komponiste­n dienen als Leitfaden, den Pollini in alle Extreme verfolgt und Debussy dorthin rückt, wo er hingehört: ins 20. Jahrhunder­t. Keine Schönfärbe­rei, dosierte eckige Virtuositä­t. Und: keine Buhs mehr.

Zur Belohnung gab’s zwei unfröhlich­e und unleichtge­wichtige Zugaben: „La Cathédrale“aus dem ersten Buch der Debussy’schen Préludes und Chopins Scherzo Nr. 3. Den Applaus nahm er eher konsternie­rt zur Kenntnis, wie Botschafte­n aus einer anderen Welt.

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BILD: SN/SF/MARCO BORRELLI Maurizio Pollini

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