„Ich sehe mich als Europäer“
Rainhard Fendrich schuf mit „I am from Austria“die heimliche Hymne Österreichs – ganz unbeabsichtigt. Denn es war „eher als Protestlied gedacht“, wie er sagt.
SN: „I am from Austria“: Was bedeutet das Lied für Sie? Rainhard Fendrich: Es war weder als Hymne geplant noch konnte ich es verhindern. Es ist für mich bedenklich, dass Hymnen auf einmal so zum Thema werden, in einer Zeit, in der der Nationalismus immer stärker wird. Das deutet mehr auf Abschottung hin als auf Weltoffenheit. Eine Hymne ist ein kritikloses Loblied auf eine Nation. Auch unsere Bundeshymne ist das, aber in alter Sprache gehalten. „I am from Austria“ist das nicht. Ich sehe Nationalhymnen eher als Erkennungsmelodien für das jeweilige Land, die bei Staatsempfängen oder Fußballmatches gespielt werden. Wären alle Länder so wunderbar, wie sie besungen werden, gäbe es keine Kriege. Es gibt aber auch Hymnen, die gar keinen Text haben, wie die spanische. Das gefällt mir besser. SN: Das Lied ist in der Ära Kurt Waldheim entstanden. Was wollten Sie erreichen? Ich war viel in Amerika. Man sollte sich daran erinnern, dass Österreich damals international beinah geächtet war und gern als Naziland dargestellt wurde. Dagegen wollte ich aufstehen. Kurt Waldheim war lange UNO-Generalsekretär. Im Präsidentschaftswahlkampf wurde seine Vergangenheit ausgegraben. Die Amerikaner waren sehr verärgert darüber, dass jemand wie er so lange als UNO-Vorsitzender in New York tätig war, und so machten die amerikanischen Medien kurzerhand alle Österreicher zu Nazis.
Ich hatte damals einen Wohnsitz in Florida. Einige meiner Nachbarn waren Österreicher. Manche haben sich sogar als Deutsche ausgegeben, weil sie sich ihrer Heimat geschämt haben. Das war für mich nicht akzeptabel. Wer immer mich gefragt hat „Where do you come from?“, erhielt die Antwort: „I am from Austria“. So entstand auch die Zeile „… und wenn ihr wollts a ganz alla …“.
Es war eigentlich eher als ein Protestlied gedacht ohne jeden hymnischen Charakter. Bei uns ist einiges nicht in Ordnung und sollte geändert werden, wie in anderen Ländern auch. Aber Österreich ist meine Heimat. Es ist ein Gefühl, das nicht rational ist und auch nicht sein muss – wie man auch seine Mutter ganz einfach liebt. SN: Im Herbst startet das Musical „I am from Austria“. Es geht um einen österreichischen Filmstar, der in Hollywood Karriere gemacht hat und nach Wien zurückkehrt. Auch Sie haben im Ausland gelebt, wie war die Rückkehr für Sie? Ich bin viel unterwegs, bin leidenschaftlicher Österreicher, aber sehe mich nicht als Patrioten. Denn Patriotismus lässt keine Kritik zu und ist manchmal blind und realitätsfremd. Meine Wurzeln sind österreichisch. Ich bin aber das Kind eines sudetendeutschen Flüchtlings, der nach dem Krieg nach Wien gekommen ist.
Vielleicht wäre ich unter anderen Umständen woanders zur Welt gekommen. Ich sehe mich als Europäer mit weltoffenen Gedanken. So viele unterschiedliche Menschen mir durch meinen Beruf auch begegnen, sie haben alle den gleichen Wunsch: in Frieden und Würde zu leben. SN: „Schwarzoderweiß“heißt Ihr neues Album, es ist gesellschaftskritisch und politisch. Wo liegen derzeit die größten Probleme in Österreich? Rassismus hat mit Politik nichts zu tun, da geht es um Grundrechte. Es ist ein Aufschrei gegen die Ausgrenzung von Menschen, die anders sind. Der Populismus arbeitet meist mit Unwahrheiten. Viele Lügen werden oft so lange gepredigt, bis man sie glaubt. Trump macht das in Perfektion. Ich glaube auch nicht, dass Österreich gespalten ist, das würde ich in meinen Konzerten stärker spüren. Man macht Menschen gezielt Angst, bauscht das „Flüchtlingsproblem“so auf, dass so mancher glaubt, er verliert seine Pension. Wenn das so sein sollte, hat das andere Gründe. Die meisten unserer Probleme sind hausgemacht. Ausländer sind da gern ein willkommener Sündenbock. SN: Kann Musik Bewusstsein schaffen? Ein Lied kann immer nur eine Bewegung, eine Stimmung begleiten. Das war auch während des Vietnamkriegs so. Die Lieder, die damals gesungen wurden, waren nur die Speerspitze eines gemeinsamen Gedankens: „Make love, not war.“Ein Protest gegen die Sinnlosigkeit des Krieges. Ich glaube, dass ich zwar mit meinen Liedern manchmal den Menschen aus der Seele spreche, aber man kann nicht mit einem „Dudelsack“gegen eine Armee kämpfen. Die Menschen müssen das Leben selbst in die Hand nehmen und die Demokratie begreifen und sie leben, andernfalls besteht immer die Gefahr, in eine Diktatur abzugleiten. Wer nicht selbstständig sein kann, wird irgendwann „geführt“werden. SN: Wie sollten wir denn mit Hymnen umgehen? Den Text ändern, wie Töchter und Söhne? Das ist eine wahrlich alberne Diskussion. Wenn man für Frauen etwas tun will, sollte man sie für die gleiche Arbeit auch gleich bezahlen. Einzelne Zeilen aus einem alten Text zu verändern trifft nicht das Kernproblem. Heute spricht doch niemand mehr so. Es geht nur um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, aber wenn sich das rechtspopulistische Politiker für ihre Zwecke zunutze machen, wird es gefährlich und hat immer etwas mit Ausgrenzung zu tun. SN: Was ist für Sie das „starke Herz Österreichs“? Ich kann nicht sagen, dass Österreich ein starkes Herz hat. Ich kann sagen, was ich an diesem Land toll finde: Ich finde toll, dass es ein Kulturland ist, eine soziale Sicherheit bietet, die in Europa beispielgebend sein könnte. Die Leute kommen gern zu uns, weil die Menschen freundlich waren – bis jetzt. Aber wenn sie auf alles schimpfen, was „fremd“ist, darf man sich nicht wundern, wenn die Leute irgendwann durch Österreich durchfahren. Kein „Urlaub bei Freunden“mehr. Der Nationalismus ist so kurz gedacht. Wir sind darauf angewiesen, dass die anderen uns mögen. Die USA sind das nicht, die haben die stärkste Armee. SN: Werden Sie für Ihre Haltung und Meinung oft angefeindet? Das ist das Wesen der Kunst. Sie hat schon immer provoziert. Es ist nur dann Kunst, wenn sie unbequem ist. Ich bin nicht absichtlich unbequem, aber ich singe über die Dinge, die nicht logisch sind. Es gibt „Bespaßungsmusik“und die hat auch ihre Berechtigung, aber es gibt auch das kritische Theater. Wenn man bedenkt, dass Shakespeares berühmteste Stücke furchtbare Tragödien über menschliche Missstände sind. Das Drama „Julius Caesar“war so mutig, weil es der Frage nachgeht, ob man einen Tyrannen umbringen darf, in einer Zeit, in der Elisabeth I. ein grausames und diktatorisches Regime geführt hat.
Den Mut zum Aufstehen muss man einfach haben. Und wer aufsteht, darf sich nicht über Gegenwind wundern. Ich habe keine Angst – wir haben immer noch Redefreiheit. SN: Wie blicken Sie in die Zukunft, nimmt der Populismus überhand? Ich glaube, der Populismus hat schon viel zu viel Oberhand bekommen. Ich kann nur hoffen, dass man sich darauf besinnt, was Österreich wirklich ist: ein sicheres, wunderschönes Land im Herzen Europas. Wir sollten stolz und dankbar sein, hier leben zu dürfen.