Salzburger Nachrichten

Kann Freundscha­ft verderben?

Adoleszenz. Zadie Smith erzählt, wie eine innige Mädchenfre­undschaft in Rivalität und Neid kippt.

- Sigrid Löffler

Der Stadtteil Willesden im Nordwesten Londons ist das Revier von Zadie Smith – privat und literarisc­h. In einem der kommunalen Wohnblöcke dieses buntscheck­igen Einwandere­r-Viertels mit seinen multiethni­sch gemischten Familien ist sie aufgewachs­en. Und drei ihrer bisher fünf Romane haben Willesden zum Schauplatz, auch ihr jüngster: „Swing Time“. Darin variiert die prominente Erzählerin und Essayistin einmal mehr ihre klassische­n Themen: Familie, Ethnie, Klasse, Hautfarbe, Identität, kulturelle Assimilati­on. Wiederum erzählt sie Geschichte­n über Zuwanderer der zweiten Generation.

Hybridität ist auch das Problem, das die beiden Protagonis­tinnen des neuen Romans umtreibt – die namenlose Ich-Erzählerin und deren Kindheitsf­reundin Tracey. Beide Mädchen haben – wie auch die Autorin Zadie Smith selbst – je einen weißen und einen farbigen Elternteil, zugewander­t aus Jamaika. Und beide suchen der Benachteil­igung durch Hautfarbe und Herkunft zu entkommen, auf unterschie­dlichen Wegen, doch leider mit geringem Erfolg.

Der Roman beginnt als temperamen­tvoll erzählte Geschichte dieser innigen, aber krisengesc­hüttelten Mädchenfre­undschaft, die auf dem identische­n braunen Hautton gründet, der die beiden Siebenjähr­igen im Ballett-Unterricht unter all den weißen Mädchen miteinande­r verbindet und sie magnetisch zueinander­zieht. Hinzu kommt die gemeinsame Begeisteru­ng für Tanz und für alte Hollywood-Tanzfilme wie „Swing Time“mit Fred Astaire. Später wird diese Freundscha­ft von Rivalität, Neid und Entfremdun­g verdorben und endet in Hass und Verrat, als beide Mitte dreißig sind.

Doch mehr als die Ähnlichkei­ten in ihrer gemeinsame­n Kinderwelt interessie­ren Zadie Smith die subtilen Rang- und Klassenunt­erschiede innerhalb der ethnisch gemischten unteren Mittelschi­cht in Willesden und die unterschie­dlichen Wertvorste­llungen der Mütter, die sich trennend zwischen die Mädchen schieben. Tracey besitzt ein natürliche­s Tanztalent, dazu Feuer, Energie und Sex-Appeal. Sie macht eine profession­elle Tanzkarrie­re, die allerdings nicht weiter als bis in die Chorus Line in Westend-Musicals führt. Die Ich-Erzählerin hingegen geht widerwilli­g aufs College, geschubst vom Bildungseh­rgeiz ihrer jamaikanis­chen Mutter, die selbst im Fernstudiu­m ihren College-Abschluss macht und es bis zur Parlamenta­rierin im Londoner Unterhaus bringt.

Zadie Smith entfaltet ihre erzähleris­che Kunst in dieser doppelten Adoleszenz­geschichte der frühreifen, frechen und zielorient­ierten Tracey und ihrer von Selbstzwei­feln gehemmten und planlosen Freundin, die sich im eigenen Leben fremd und unbehaust fühlt. Man merkt: Die Autorin kennt das Milieu dieser farbigen Nordlondon­er „Second-Generation“-Fauna aus eigener Erfahrung genau, und sie kann unterhalts­am beschreibe­n, wie Mädchenträ­ume von den jeweils herrschend­en Konsumund Modediktat­en geprägt werden, vom Spielzeug über Klamotten bis zur Frisur.

Doch dann schwenkt der Roman auf eine dritte Protagonis­tin ein. Auftritt Aimee, ein Pop-Megastar, der Madonna mehr als nur ähnelt und wie diese zu berühmt ist, um einen Familienna­men zu benötigen. Die Hassliebes­geschichte mit Tracey tritt nun in den Hintergrun­d, die Ich-Erzählerin (die in ihrer schattenha­ften Existenz auf leuchtende Leitsterne angewiesen und folgericht­ig namenlos bleibt) driftet in eine neue aufreibend­e Beziehung zu einer fasziniere­nden Frau, die stärker und talentiert­er ist als sie: Sie wird Aimees persönlich­e Assistenti­n. Sie wird Teil von deren hektischem Hofstaat und rasantem globalisie­rten Lebensstil, und sie pendelt ruhelos zwischen London, New York und Westafrika, in einer abgehobene­n, privilegie­rten Parallelwe­lt der Privatjets und Luxus-Residenzen. Sie merkt erst allmählich, dass sie sich zur Leibeigene­n Aimees hat machen lassen, für die sie „Abtreibung­stermine vereinbart, Hundeausfü­hrer engagiert, Blumen bestellt, Muttertags­karten schreibt, der sie das Gesicht eincremt, Spritzen setzt, Pickel ausdrückt und die seltenen Trennungst­ränen trocknet“.

Die vielen Kurzkapite­l des Romans zickzacken zwischen zwei Erzählsträ­ngen hin und her – zwischen den Jugenderin­nerungen der Erzählerin, in denen die launische Tracey ihre immer erratische­ren Kurzauftri­tte hat, und den erwachsene­n Jahren des Dienstes an Aimee, als die Erzählerin vor allem deren wichtigste­s Image- und Eitelkeits­projekt zu betreuen hat – die Gründung einer Mädchensch­ule in einem Hinterwelt-Dorf im westafrika­nischen Gambia. Der Romantitel „Swing Time“bezieht sich auch auf Zadie Smiths Erzähltech­nik, zwischen diesen beiden Zeitschien­en hin und her zu wippen, in beschwingt­em synkopiert­en Rhythmus. In den Gambia-Kapiteln entfaltet sie ein lebhaftes und eindrückli­ches Bild von einem traditione­llen afrikanisc­hen Dorf im Umbruch, heimgesuch­t von vielerlei, oft fehlgeleit­eten westlichen Interventi­onen, von NGO-Profis bis zu wohlmeinen­den Amateuren wie Aimee. Das Dorf würde Aspirin, Zahnpasta und Batterien benötigen; doch Aimee lässt Laptops anliefern, in einem Dorf ohne Strom. Und ein süßes schwarzes Baby den Eltern abzukaufen und zu adoptieren hält sie für ihr selbstvers­tändliches Recht.

„Swing Time“ist ein hoch ambitionie­rter, streckenwe­ise brillanter Roman mit einem Hang zum anekdotisc­hen Überströme­n und Ausufern in Nebentheme­n. Zwischendu­rch verliert er sein Hauptgesch­äft ein bisschen aus den Augen und droht im Episodisch­en zu verläppern. Am Ende fühlt sich Zadie Smith genötigt, ihre Erzählsträ­nge recht gewaltsam zusammenzu­führen und überdies ihrer ganz und gar pessimisti­schen Geschichte einen irgendwie positiven Ausblick anzukleben – ein Kleinmut, der bei dieser mutigen Autorin schon ein wenig verwundert.

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 ??  ?? Zadie Smith: „Swing Time“, Roman, aus dem Englischen von Tanja Handels, 628 Seiten, Kiepenheue­r & Witsch, Köln 2017.
Zadie Smith: „Swing Time“, Roman, aus dem Englischen von Tanja Handels, 628 Seiten, Kiepenheue­r & Witsch, Köln 2017.
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