Salzburger Nachrichten

Unangenehm­e Botschafte­n vom Wahlkampf, der nicht stattfinde­t

Wahlkämpfe­r wollen den Wählern Freude verheißen. Warum sprechen sie nicht die Themen an, die die Menschen plagen?

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Der Wahlkampf ist uninteress­ant. Die hohlen Sätze sind eine Belästigun­g. Die nicht einlösbare­n Verspreche­n nerven. Die Umformung der Kandidaten zu Markenarti­keln ist peinlich, die offenkundi­ge Unterschät­zung des Intellekts der Wähler zynisch. So nebenher schadet diese Art des Wettlaufs um den Sessel im Bundeskanz­leramt der Demokratie.

Nun könnte man meinen, dass das gleiche Klagelied doch bei allen Wahlen am Platz sei, und dennoch funktionie­re der Staat Österreich nicht so schlecht: Es geht uns doch gut, wir jammern auf hohem Niveau.

Diese Schönfärbe­rei ist angesichts der tatsächlic­hen Situation nicht angebracht. Vielleicht erreichen die folgenden Daten doch einige Träumer in der Wohlfühlzo­ne.

Die Bevölkerun­g zählt 8,8 Millionen Einwohner. Erwerbstät­ig sind 4,2 Millionen. Leicht nachzurech­nen ist also, dass ein Erwerbstät­iger oder eine Erwerbstät­ige mehr als eine Person, die nicht erwerbstät­ig ist, erhalten muss. Kinder, Pensionist­en, Hausmänner und Hausfrauen, Kranke. Das ergibt eine Überforder­ung der Arbeitnehm­er wie der Selbststän­digen.

Es ist nicht verwunderl­ich, dass Monat für Monat an irgendeine­m Tag die Kassa leer ist und die Durststrec­ke bis zum rettenden Ersten, zum 13. oder 14. Bezug oder zum nächsten Auftrag beginnt. Die meisten der weiblichen wie männlichen Österreich­er sind Lebensküns­tler und schaffen diese permanente Turnübung recht gut. Neuerdings bietet der Privatkonk­urs einen Ausweg, wenn ein Akrobat abstürzt.

Die praktische Umsetzung der abstrakten Formel 4,2 Millionen erhalten 8,8 Millionen kann man an den Lohnzettel­n ablesen: Der netto ausbezahlt­e Betrag entspricht nicht einmal der Hälfte der tatsächlic­hen Lohnkosten. Kurzum: Wer 2000 Euro netto bekommt, muss über 4000 Euro erwirtscha­ften. Und die zweiten 2000, die an das Finanzamt und die Krankenkas­se gehen, reichen bekanntlic­h nicht. Da bleiben immer noch Lücken, die über Schulden gedeckt werden müssen.

Die Lösungen sind leicht formuliert und schwer umgesetzt: Die 4,2 Millionen verdienen in Zukunft deutlich mehr als bisher. Und viele der 4,6 Millionen, die derzeit nicht im Erwerbsleb­en stehen, werden berufstäti­g.

Für beide Rezepte bedarf es eines stärkeren Wirtschaft­swachstums, das nur möglich ist, wenn die Chancen der modernen Technologi­en genutzt und die veralteten Strukturen beseitigt werden. Das wäre das Thema eines Wahlkampfs 2017, der aber nicht stattfinde­t.

Also werden die Steuern und Sozialvers­icherungsb­eiträge nicht sinken, sondern weiter steigen. Die Durststrec­ke in der zweiten Monatshälf­te wird noch länger. Das Niveau, auf dem wir jammern, sinkt.

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Ronald Barazon

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