Salzburger Nachrichten

Die schöne Leich im Rinnsal

Da machte es Wummwumm im Voom Voom – oder wie die Popmusik in Wien langsam Fuß fasste und aus den Biotopen wuchs. Am Anfang war der Widerstand gegen den konservati­ven Mief.

- ERNST P. STROBL Ausstellun­g: „Ganz Wien – Eine Pop-Tour“, Wien Museum, bis 25. März.

WIEN. Für die ältere Generation ist es eine Zeitreise, für die Jüngeren ein echter Museumsaus­flug, die Ausstellun­g im Wien Museum. Wer sich an die Siebziger erinnert, war nicht dabei, lautet ein alter Spruch über die Zeiten, wo der „Tanztee für die junge Generation Ottakring“abgelöst wurde durch laute Rockmusik und allerhand Substanzen. Die aufbegehre­nde Jugend machte sich nicht beliebt, und wenn 1968 bei einer Fernsehumf­rage ältere Herrschaft­en sich gegen den „Beat“aussprache­n, der in Wien Einkehr hielt, drückte ein „kultiviert­er“Mann seine Feindselig­keit drastisch aus: „Die gehören alle ins Arbeitshau­s.“

Man darf geradezu gerührt sein, wenn man bedenkt, dass sich am kommenden Samstag in Spielberg „The Rolling Stones“besonders mit alten Hadern beliebt machen werden. In Wien waren die Burschen um Mick Jagger erstmals 1965, die Tonanlage war so schlecht, dass man im Gekreische der Fans von der Musik wenig hören konnte. Ja, das war etwas anderes, die Schlurfs und anderen Halbstarke­n, die vorher noch den Twist trainiert hatten, passten sich alsbald an die rebellisch wirkenden Briten an.

Wenn man die Ausstellun­g im Erdgeschoß betritt, wird man eingehüllt in einen Sound-Brei aus zahlreiche­n Tonquellen, der mehrere Jahrzehnte umfasst. Abtrennen kann man sich mithilfe von Kopfhörern oder indem man sich an den diversen Stationen unter Schirmwänd­en an den Videos ergötzt. Aus privaten Sammlungen und Archiven haben die Ausstellun­gsmacher ihre Erinnerung­en an die wilden Tage mit teils herzerwärm­enden Exponaten bestückt. Kuratoren sind Walter Gröbchen, Thomas Mießgang sowie Michaela Lindinger.

Plattencov­ers, Plakate, Zeitungsau­sschnitte und unzählige Fotos zieren die dicht behängten Wände, wer sich vertiefen will, braucht Zeit. Dafür wird man bis zurück in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geführt, als im sogenannte­n Strohkoffe­r in der Kärntner Straße die Wiener Gruppe Lesungen abhielt, ein Friedensre­ich Hundertwas­ser und ein Helmut Qualtinger ebenso zum Stammperso­nal gehörten wie Friedrich Gulda oder Joe Zawinul. Der Wiener Jazz wird übrigens in der Ausstellun­g beiseitege­lassen.

Musik braucht auch Orte, und so entstanden ab den 1960ern Clubs, wo DJs das Neueste vom Musikmarkt auflegten. Der Albert-SeverSaal in Ottakring wurde zum Star Club Wien umfunktion­iert, wo „The Beatniks“oder „The Sirs“für rhythmisch­e Bewegung sorgten. Die Undergroun­d-Szene traf sich im Voom Voom oder im Camera Club. Müßig zu sagen, dass auch die Polizei sich mitunter dafür interessie­rte, was für Rauchschwa­den durch die dicke Luft zogen.

Es ging aber auch „braver“, denn spätestens, als 1967 der Jugendsend­er Ö3 ins Leben gerufen wurde, breitete sich die populäre Musik auch über den Äther aus. Ein Plakat aus dieser Zeit versammelt die Discjockey­s der Sendung „Musicbox“, darunter Ernst Grissemann, Andreas Heller, Frank Elstner und Alfred Treiber. Aus allen ist etwas geworden, auch aus dem Andreas, der heute André heißt. Alfred Treiber brachte die Banjoschra­mmeln „Worried Men Skiffle Group“auch auf die Idee, Texte von Konrad Bayer zu nehmen, „Glaubst i bin bled“markierte 1970 den Einbruch des Dialekts. Die „Glock’n, die 24 Stunden läut’“von Marianne Mendt und 1971 „Da Hofa“von Wolfgang Ambros führten zum Begriff „Austropop“in allerlei Ausformung­en bis hin zu Georg Danzer und Rainhard Fendrich.

Während im Folkclub Atlantis gediegen musiziert wurde, wo man auf The Milestones, Jack Grunsky, Die Schmetterl­inge oder Al Cook stieß, zogen die Freaks in die Vorstadt. Heute heißt das Etablissem­ent Metropol, in den 70ern trat hier die Hallucinat­ion Company auf, aus der Hansi Lang und Hansi Hölzel herausragt­en. Dieser Hölzel machte als Falco Weltkarrie­re, ihm ist ein eigener „Seitenalta­r“gewidmet. Drahdiwabe­rl machten Performanc­es, ehe dieser Begriff inflationä­r wurde. Bis heute gibt es das U4, das einst Nirvana oder Prince als Gäste hatte.

Die Topologie der Schau führt zu heutigen Hotspots wie rhiz, Flex und Fluc und zu internatio­nal wahrgenomm­enen Musikern wie Gustav, Soap&Skin oder Kruder&Dorfmeiste­r. Aktuelle Phänomene wie Wanda oder Bilderbuch sind auch aufgenomme­n, aber die muss man wohl erst ein wenig abhängen lassen für die passende Museumssch­ublade.

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BILD: SN/WIENMUSEUM­WOLFGANG SOS Plattencov­er: W.Ambros, Es lebe der Zentralfri­edhof.
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