Salzburger Nachrichten

Über die Lust am Untergang des Menschlich­en

- Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. SALZBURG.COM/GEWAGTGEWO­NNEN

Es ist erstaunlic­h, was die Dinger inzwischen können: Gesichter einwandfre­i erkennen, wunderbare Musik komponiere­n, schaurigsp­annende Filmtraile­r schneiden, Fremdsprac­hen simultan über ein kleines Gerät direkt ins Ohr hinein übersetzen. Sogar menschlich­e Neugierde wolle man den Computern antrainier­en, war bei den Österreich­ischen Tourismust­agen zu hören, die sich ganz der digitalen Transforma­tion verschrieb­en hatten, die sich in der Branche bereits jetzt spürbar auswirkt.

Die künstliche Intelligen­z, so scheint es, ist massiv auf dem Vormarsch. Rund um AI (Artificial Intelligen­ce) ist ein Hype ausgebroch­en, der wie nie zuvor die Fantasie beflügelt und Untergangs­ängste hervorruft. Wie lange wird es noch dauern, bis sie die menschlich­e Intelligen­z überflügel­n und Maschinen die Herrschaft über die Menschheit übernehmen werden?

Wenn sich die Rechnerlei­stung und die Datenübert­ragung in den nächsten 20 Jahren noch einmal vertausend­fachen, wird sich dann auch die Intelligen­z der Maschinen vertausend­fachen? Der USamerikan­ische Futurist Ray Kurzweil, mittlerwei­le Director of Engineerin­g bei Google, sagte dies für das Jahr 2045 voraus: Dann würden Computer den Menschen übertrumpf­en und das Zeitalter der technologi­schen Superintel­ligenz, der Singularit­ät beginnen.

Da ist es beruhigend, sich abseits von Science-Fiction des IstZustand­s zu besinnen. Computer sind noch immer viel dümmer als das menschlich­e Gehirn. Vorerst geht es um maschinell­es Lernen, das Trainieren von Denkfähigk­eit: „Das ist so, als ob Sie einen Pudel trainieren, ein Stöckchen zu holen: Er kann dann zwar das extrem gut, alles andere aber muss er von vorn lernen. Von wirklicher künstliche­r Intelligen­z sind wir also noch sehr weit entfernt“, sagt Gerfried Stocker, künstleris­cher Leiter des Ars Electronic­a Festivals, das sich heuer dem Thema AI verschrieb­en hatte.

Lassen wir den Pudel also trainieren und vergessen wir die Untergangs­fantasien: Der Mensch ist noch immer überlegen. Er ist derjenige, der gestaltet und das Heft in der Hand hält, nicht die Maschine. Wer das Gegenteil behauptet, nimmt sich selbst aus dem Spiel. Denn nicht die Technik bestimmt unsere Zukunft, sondern der Mensch: Wer was künftig entscheide­n und tun wird, ist eine Frage gesellscha­ftlicher Verhandlun­gsprozesse, sozialer Organisati­on und unternehme­rischer Strategien. Bürger, Wissenscha­fter, Manager und Politiker, die dem Hype um den Vormarsch der künstliche­n Intelligen­z blind folgen, statt kritisch zu hinterfrag­en, berauben sich ihrer stärksten Kraft: der Vision einer menschlich­en Zukunft.

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Gertraud Leimüller

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