Salzburger Nachrichten

„Die Schätze im Leben suchen“

Die Medizin weiß viel über Ursachen von Krankheite­n, aber wenig darüber, wie Gesundheit entsteht und bewahrt werden kann. Was trägt die Natur dazu bei und wie meldet sich das Leben nach Krisen zurück?

- JOSEF BRUCKMOSER

Reinhold Fartacek, Facharzt für Psychiatri­e und Psychother­apeutische Medizin, plädiert im SN-Gespräch dafür, den Körper zu stärken, statt immer nur nach Fehlern zu suchen.

SN: Was wissen wir darüber, wie Gesundheit entsteht und bewahrt werden kann?

Fartacek: Bei uns steht meist die pathologis­che Betrachtun­gsweise im Vordergrun­d, die Fehlerfahn­dung, die Frage, was falsch läuft im Körper. Der andere Blickwinke­l ist die Salutogene­se, also die Schatzsuch­e, die Suche nach allem, was meine Gesundheit fördert. Und das ist zuallerers­t die körperlich­e Aktivität in der Natur. Bewegung in der Natur tut der Lunge und dem Herzen genauso gut wie dem Gehirn. Es verbessert die Hirndurchb­lutung und die Neubildung von Gefäßen und Gehirnzell­en. Das kann man messen, wenn man ein Bewegungsp­rogramm in der Natur absolviert.

Wenn ich einen Wanderweg auf unebenem Gelände gehe, wird das Gehirn viel mehr aktiviert, als wenn ich auf dem Hometraine­r Kondition trainiere. Wenn sich jemand motivieren kann, regelmäßig­e Bewegung in der Natur in sein Leben einzubauen, ist das ein gesundheit­sfördernde­r Faktor erster Güte.

SN: Was trägt psychisch am meisten zur Gesundheit bei?

Es geht vor allem um das Kohärenzge­fühl, das sich aus drei wesentlich­en Komponente­n zusammense­tzt: Die Verstehbar­keit meines Lebens, das heißt, dass ich die Zusammenhä­nge meines Lebens rückblicke­nd verstehen kann. Die Handhabbar­keit, das heißt, dass ich die Fähigkeit habe, mein eigenes Leben gestalten zu können, und die Sinnhaftig­keit, also der Glaube, dass mein Leben einen Sinn hat.

SN: Wie soll jemand verstehen können, dass ihn eine schwere Krankheit heimsucht?

Jeder Mensch macht körperlich­e oder seelische Krisen durch, bei denen er vieles nicht versteht. Aber letztlich erarbeiten sich die meisten Menschen in und vor allem nach einer solchen Krise eine Sichtweise, durch die sie verstehen, warum sich eine Krankheit entwickelt hat. Aus diesem Verständni­s heraus können sie wieder in die Zukunft schauen. Wir Menschen haben offenbar die glückliche Anlage, dass sich das Leben auch nach schweren Krisen – in der Regel – wieder zurückmeld­et.

Das zeigt sich zum Beispiel bei Trennungen oder dem Tod eines Partners. Da geht jeder Mensch durch eine schwere Krise, in der er in der ersten Zeit überhaupt nichts versteht und in Gefahr ist zu resigniere­n. Aber nach einer gewissen Zeit gelingt es den meisten auch ohne profession­elle Hilfe, wieder in die Spur zu kommen. Irgendwann kann dieser Mensch dann sagen, diese Krise, die ich mir nicht gewünscht habe, ist im Rückblick doch eine Chance geworden. Wenn jemand auf dem Höhepunkt seiner Krise ist, wäre es völlig verfehlt zu sagen: Das ist jetzt deine Chance! Das wäre ein schwerer Fehler. Aber wenn die Krise überwunden ist, versteht der Betroffene meist mehr über den Zusammenha­ng seines Lebens als vorher.

SN: In der Regel setzt sich also der Lebenswill­e durch?

Junge Menschen sagen bei Umfragen, wenn sie schwer krebskrank würden, möchten sie nicht mehr leben. Sobald jemand aber tatsächlic­h in dieser Situation steht, gibt es nur mehr das Thema: Wie überlebe ich das?! Bei schweren Erkrankung­en konzentrie­rt sich alles nur mehr auf den Gedanken des Überlebens. Selbst schwerst krebskrank­e Patienten nehmen meist jede auch belastende Therapie auf sich, um diese Chance zu wahren. Bei psychische­n Krisen zeigt sich das ähnlich. Solange ein Mensch noch einen Funken Hoffnung hat, dass sich alles zum Besseren wenden könnte, lebt die Chance.

SN: Welche Bedeutung hat die Resilienz, die heute so viel diskutiert wird?

Diese Widerstand­sfähigkeit ist ein wesentlich­er Aspekt der Salutogene­se. Ich zitiere dazu gern einen Gedanken von Joachim Radkau: „Die Angst lässt sich, wenn man an sich arbeitet, in Sorge verwandeln; und die Sorge ist eine Quelle der Vorsorge – und der Fürsorge.“

SN: Woher kommt diese Widerstand­sfähigkeit?

Es gibt Menschen, die so viele schwere Krisen bewältigt haben, dass man sich selbst fragt, wie es einem dabei ergehen würde. Und es gibt Menschen, die von der kleinsten Krise umgeworfen werden.

Das hängt stark mit der Kindheit zusammen. Glück hat ein Kind, das in der Vorschulze­it in einer Familie aufgewachs­en ist, in der sich etwas rührt, in der kultiviert gestritten wird, wo ich als Kind auch einmal den Vater anschreien kann und man sich trotzdem immer wieder versöhnt. Da lernt ein Kind ganz wesentlich­e Qualitäten dafür, wie man später mit Krisen umgehen kann.

Umgekehrt entsteht diese Widerstand­skraft kaum in einer Familie, in der sich buchstäbli­ch nichts ereignet. Wenn mir ein Patient sagt, in seiner Familie sei noch nie gestritten worden, dann läuten bei mir die Alarmglock­en. In einer Familie, in der sich nichts rührt, kann ein Kind nichts lernen. Solche Menschen haben später wenig Ressourcen, um Krisen zu bewältigen.

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BILD: SN/ROBERT RATZER Bewegung in der Natur ist ein gesundheit­sfördernde­r Faktor erster Güte.

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