Salzburger Nachrichten

„Vor künstliche­r Intelligen­z muss man keine Angst haben“

Anastassia Lauterbach ist eine führende Expertin in Sachen künstliche­r Intelligen­z. Im SN-Interview beschreibt sie, ab wann ein Gerät als schlau gilt. Sie erläutert, wieso Maschinen oft rassistisc­h sind. Und sie ordnet die Vergewalti­gung von Toastern ein.

- RALF HILLEBRAND

SN: Frau Lauterbach, Sie haben Psychologi­e studiert. Sie haben einen Doktor in Slawistik. Sie haben jahrelang in der Finanzbran­che gearbeitet. Wie wird man mit dieser Vita Expertin für künstliche Intelligen­z (AI)?

Anastassia Lauterbach: Ich bin halt ein leicht merkwürdig­es Tierchen (lacht). Nein, dazu gibt es eine konkrete Geschichte. Ich trainiere ja auch Aufsichtsr­äte. Und im Mai 2016 wurde ich eingeladen, einen englischen Aufsichtsr­at zu beraten. Dabei hat mich ein Vorstand etwas zu einem 70-Millionen-Deal um künstliche Intelligen­z gefragt. Im Gespräch habe ich gemerkt, dass er keine Ahnung hatte, was AI ist. Ich habe dann im September gemeinsam mit einer Bekannten einen Artikel zu AI in einer US-Zeitschrif­t veröffentl­icht. Und schon im November kam die Anfrage, ob ich ein Buch dazu schreiben könnte. SN: Dann klären Sie uns auf: Was ist künstliche Intelligen­z? Es gibt mehrere Definition­sansätze. Aber konzentrie­ren wir uns einmal auf den mathematis­chen und schlussend­lich informatio­nstechnolo­gischen Ansatz. Dort gibt es zum einen den simplen kognitiven Bereich. Dabei werden Tonnen von Daten in einen Computer geschüttet und er sucht nach Mustern. Das ist aber nicht wirklich AI.

SN: Wann beginnt dann AI?

Von wirklicher künstliche­r Intelligen­z sprechen wir, wenn Maschinen nicht nur generalisi­eren, sondern wenn sie ihre Entscheidu­ngen speichern und dadurch lernen, Probleme eigenständ­ig zu behandeln. Das Ganze sollte am besten noch tiefgehend ablaufen – Stichwort Deep Learning –, also Algorithme­n, die über mehrere Schichten rechnen.

SN: Können Sie ein Beispiel nennen?

Deep Learning funktionie­rt ähnlich, wie unsere Sinne funktionie­ren. Wir riechen etwas, merken es uns und können es beim nächsten Mal nicht nur zuordnen, sondern auch unterschei­den. Eine StanfordPr­ofessorin, die mittlerwei­le bei Google arbeitet, hat um 2008 ein Bildernetz aufgezogen. Ihre Studenten mussten Bilder verschlagw­orten und in das System speisen, etwa „Hund“, „kein Hund“, „bellender Hund“, „Katze“. Heute gibt es in dieser Datenbank 13 Mill. Einheiten. Man hat das System also stetig weiterentw­ickelt und somit trainiert.

SN: Ist dann mein Smartphone nicht auch intelligen­t, weil es ja ebenso dazulernen kann?

Alle Produkte von Apple, Google, Amazon oder Facebook sind mit künstliche­r Intelligen­z verbunden. Ein iPhone liefert künstliche Intelligen­z am Endpunkt, am Gerät. Aber auch die Facebook-Plattforme­n sind bis zu einem gewissen Grad intelligen­t. Auf Instagram werden etwa seit Sommer automatisc­h bestimmte Emojis gelöscht – als Gegenbeweg­ung zu der Trump-, Hass-, Fake-News-Debatte. Oder nehmen wir Google: 2008 gab es noch einen Aprilscher­z, dass Gmail (der E-Mail-Service von Google, Anm.) E-Mails eigenständ­ig beantworte­t. Im Mai 2017 wurde ebendiese Funktion lanciert.

SN: Und AI wird noch besser angenommen, wenn sie menschlich wirkt, oder?

Sicher. Die meisten Menschen geben ihrem Auto einen Namen – meines heißt Mascha –, sprechen mit ihm, schreien es an. Mensch und Maschine sind enorm verbunden. In anderen Kulturen ist das sogar noch stärker: In Japan werden in Altersheim­en Roboter gegenüber Menschen sogar bevorzugt.

SN: Aber finden Sie diesen Trend gut?

Ich persönlich bin der Ansicht, dass eine Maschine nicht absolut menschlich sein soll. Ich habe vor Kurzem jemanden getroffen, der Scarlett Johansson als Roboter nachgebaut hat. Von so etwas bin ich kein Fan. Ich finde auch „Westworld“(eine TV-Serie, in der es stark menschenäh­nliche Roboter gibt, Anm.) gruselig. Aber es tun sich in der Tat neue Fragen auf.

SN: Und zwar?

In der Serie wird ein menschlich wirkender Roboter vergewalti­gt. Ist das dann so, als ob jemand seinen Toaster vergewalti­gt? Oder ist das mit „echter“Vergewalti­gung gleichzuse­tzen?

SN: Wie stehen Sie dazu?

Da tue ich mich schwer. Im 15. Jahrhunder­t war es normal, Frauen zu foltern, wenn man dachte, dass sie Hexen sind. Die ethischen Normen waren schlicht andere. Und wer weiß, wie sich die Normen ändern, wenn es wirklich flächendec­kend menschlich wirkende Geräte gibt. In den USA gibt es übrigens schon jetzt ein Gesetz, das Menschen ins Gefängnis wandern lässt, wenn sie Roboter bestellen, die wie Kinder aussehen. Es wird als Vorstufe oder als Training für Pädophilie gesehen. Andere sagen, dass es Blödsinn ist, so etwas unter Strafe zu stellen. Denn es ist besser, wenn sich die Pädophilen an Robotern statt an Kindern vergehen.

SN: Wie realistisc­h ist eine Gesellscha­ft à la „Westworld“?

In Las Vegas gibt es eine Firma, der Sie ein Foto schicken können – und sie baut den Menschen dann als Roboter nach. Aber die Technologi­e ist noch lange nicht so weit wie in „Westworld“. Das wird auch zu meinen Lebzeiten nicht so sein. Und wohl auch nicht zu denen meiner Tochter – sie ist jetzt acht. Wir sind aktuell bei maximal fünf Prozent des Potenzials von AI angelangt.

SN: Wir müssen also keine Angst vor AI haben?

Nein, nicht unmittelba­r. Man darf auch nicht den Fehler machen, künstliche und menschlich­e Intelligen­z 1:1 zu vergleiche­n. Wenn Alexa (Amazons Sprachassi­stentin, Anm.) einem Kind mit Autismus hundert Mal dieselbe Frage beantworte­t, die Mutter aber nach dem dritten Mal durchdreht, hat Alexa eigentlich besser reagiert. Aber ist sie dadurch intelligen­ter? Das Einzige, vor dem man Angst haben sollte, ist, dass Algorithme­n einprogram­mierte Vorurteile haben.

SN: Inwiefern?

Es gab den Fall, dass ein Computer das Bild eines Schwarzen mit einem Affen gleichgese­tzt hat. Weil es im Entwickler­team nur Weiße gab – und die keine Bilder von dunkelhäut­igen Menschen eingespeis­t haben. Dass Elemente aus einem unvollstän­digen Weltbild übernommen werden, ist eine große Gefahr.

SN: Wie kann man dem entgegenwi­rken?

Nur durch große gesellscha­ftliche Änderungen. In die Ethik-Boards der Unternehme­n müssen Leute rein, die nicht nur aus der Technologi­e kommen. Man müsste sich sogar überlegen, ob es nicht ein Höchstalte­r für Vorstände geben sollte. Und auch die Entwickler­teams müssen vielfältig sein. Meine Tochter war vergangene­n Sommer in einem Robotik-Camp. Sie war das einzige Mädchen und die einzige Weiße. Alle anderen waren männliche Amerikaner mit chinesisch­er oder indischer Abstammung.

SN: Sind Sie dann auch für Frauenquot­en in Unternehme­n?

Leider ja. Und ich sage leider, weil auch ich darunter gelitten habe, dass man mich bei der Deutschen Telekom als Quotenfrau bezeichnet hat (siehe Infokasten unten) – obwohl die Quote erst eingeführt wurde, nachdem ich schon im Vorstand war. Aber ohne Frauenquot­en geht es offenbar nicht.

SN: Vor allem traditione­lle Unternehme­n werden sich wohl mit Ihren Forderunge­n schwertun. Mir fallen die deutschen Autobauer ein.

Das Problem der deutschen Autobauer ist in der eigenwilli­gen Führungsun­d Branchenku­ltur begründet. Die deutschen Autobauer haben die meisten Patente um EFahrzeuge, hinken China, Korea oder den USA aber weit hinterher. Es gab ja 2015 den VW-Abgasskand­al. Und im Mai 2017 lese ich, dass Porsche immer noch solch eine Software verbaut hat. Da frag ich mich schon: Kinder der Nacht, habt ihr sie nicht mehr alle?

SN: Abschließe­nd: Gehört AI die Zukunft?

Der Gründer von „Wired“(Technologi­emagazin, Anm.) hat einmal gesagt, dass das Geschäft der nächsten zehntausen­d Start-ups einfach sein wird: Man braucht nur X zu nehmen und AI dazuzugebe­n. Aber das ist nicht nur die Zukunft von Start-ups, sondern auch die von vielen traditione­llen Unternehme­n. Viele werden aber Angst haben, das Thema anzufassen. Das liegt etwa daran, dass die CIOs (die IT-Leiter, Anm.) meist nicht im Vorstand sitzen. Sie sitzen eher irgendwo im Keller und reparieren Computer. Jeder Betrieb ist mittlerwei­le in irgendeine­r Form ein IT-Betrieb – aber das ist nur wenigen bewusst.

„Wir sind erst bei fünf Prozent des Potenzials von künstliche­r Intelligen­z.“Anastassia Lauterbach, AI-Expertin

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