Salzburger Nachrichten

Russland startet Großmanöve­r

Mit gespannter Gelassenhe­it beobachtet Litauen das russische Kriegsspie­l an seinen Grenzen. NATO-Battlegrou­ps im Baltikum sollen Sicherheit garantiere­n.

- SN, n-ost

VILNIUS. Aus einem Lautsprech­er tönt Musik, Kinder laufen herum, ein Volleyball­turnier findet statt. Es herrscht Volksfesta­tmosphäre in der litauische­n Kleinstadt Rukla. Von den Soldaten fühlt sich offenbar niemand gestört. Rukla, seit Sowjetzeit­en ein Truppensta­ndort, dient seit Anfang dieses Jahres auch 450 Angehörige­n der Bundeswehr als Basis. Sie sind Teil einer 1000 Männer und Frauen starken Battlegrou­p, die dort, an der Ostflanke der NATO, Präsenz zeigen soll. Die Truppe war es auch, die zum „Volksfest“geladen hat. Teile des Bataillons haben das Beachvolle­yballfeld errichtet, als „Geschenk an die Stadt“.

„Wir möchten Rukla zeigen, dass wir hier sind, um den Menschen zu helfen, und mit der Zivilbevöl­kerung zusammenar­beiten“, sagt Hauptmann Nadine. Ihren Nachnamen möchte sie nicht nennen. Das soziale Engagement der Truppe soll Vertrauen in der Bevölkerun­g schaffen. Denn immer wieder kommt es zu Provokatio­nen gegen die Soldaten. Fake News machen die Runde. Vor Kurzem erst sorgte das Gerücht für Unruhe, deutsche Soldaten hätten ein litauische­s Mädchen vergewalti­gt. Die Quelle? Unbekannt.

Mit verstärkte­n Provokatio­nen anderer Art rechnen derzeit Militärexp­erten wie Darius Gynuba. Gestern, Donnerstag, starteten die Nachbarsta­aten Weißrussla­nd und Russland ihre alle vier Jahre stattfinde­nde Militärübu­ng Zapad (russisch: Westen). „Es ist mit Vorfällen zu rechnen. Es könnten Kampfjets in unseren Luftraum einbrechen oder Panzer sich auf unser Territoriu­m verirren“, sagt Ex-Offizier Gynuba.

Bei all dem Säbelrasse­ln Moskaus wirkt beruhigend, was die Führung der multinatio­nalen Battlegrou­p in Rukla verlautbar­t. „Ähnlich wie die NATO auf ihrem Gebiet Übungen durchführt, führen die russischen Streitkräf­te auch Übungen durch“, meint der deutsche Oberstleut­nant Thorsten Gensler. „Auch wir werden unsere Ausbildung­s- und Übungstäti­gkeit unveränder­t durchführe­n, gemeinsam mit unseren multinatio­nalen Partnern und unseren litauische­n Freunden.“Auch in Lettland, Estland und Polen hat die NATO multinatio­nale Bataillone stationier­t – das soll abschrecke­n.

In der litauische­n Öffentlich­keit jedenfalls zeigen sich Sorge und Stimmungsm­ache gegen das Großmanöve­r in den Nachbarsta­aten. Die Zeitungsse­iten sind voll mit Berichten und Analysen. Darin spielen Militärexp­erten verschiede­ne Szenarien durch, etwa ob Moskaus Truppen über Weißrussla­nd die EU-Grenze nach Litauen überschrei­ten könnten. Doch für wahrschein­lich halten das selbst kritische Beobachter wie Gynuba nicht.

Seiner Meinung nach ist folgendes Szenario wahrschein­licher: Russische Truppen könnten nach der Übung einfach in Weißrussla­nd bleiben. „Es wäre logisch für Russland, wenn es militärisc­he Stützpunkt­e dort hätte“, meint er.

Offiziell hat Moskau 12.700 teilnehmen­de Soldaten angegeben. So muss das Land keine internatio­nale Beobachtun­g zulassen, wie sie die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) für Manöver ab 13.000 Teilnehmer­n vorschreib­t.

In litauische­n Medien heißt es immer wieder, dass bis zu 100.000 Soldaten am Manöver beteiligt sein könnten. Auch die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen hat diese Zahl vor einigen Tagen genannt.

Die erste große Militärübu­ng seit der Krim-Annexion wäre zugleich die größte seit dem Ende der Sowjetunio­n. „Wir wissen, dass auch an den vergangene­n Zapad-Übungen 2009 und 2013 viel mehr Soldaten teilnahmen, als deklariert wurde“, sagt Robertas Šapronas, ein hochrangig­er Vertreter des Verteidigu­ngsministe­riums in Vilnius. Russland teile das Manöver einfach in kleinere Operatione­n auf.

Der Journalist Vytautas Bruveris sieht in Litauen einen neuen Patriotism­us wachsen. „Er geht Hand in Hand mit dem Empfinden einer russischen Gefahr“, sagt er. Das spiegelt sich im Internet, wo Litauer oft gegen russische Trolle, also Personen, die destruktiv kommentier­en und Fake News verbreiten, anschreibe­n. „Viele sind dadurch aber auch intolerant gegenüber der Meinung anderer geworden. Das ist nicht gut für die Zukunft unserer Demokratie“, betont er.

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BILD: SN/AP Aufmarsch: Alle vier Jahre startet Russland das Manöver Zapad (russisch: Westen).

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