Salzburger Nachrichten

Kaiser Karl wollte den Frieden

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Zu „Was wäre, wenn Lenins Zug nie abgefahren wäre?“von Thomas Hödlmoser (SN vom 9./10. September 2017):

Stefan Zweig zählt dieses Ereignis zu den „Sternstund­en der Menschheit“, schrieb aber rückblicke­nd dazu: „Kein Geschoß war weittragen­der und schicksale­ntscheiden­der in der neueren Geschichte als dieser Zug, der, geladen mit den gefährlich­sten, entschloss­ensten Revolution­ären des Jahrhunder­ts, …“

Durch eine unbegreifl­iche, kurzsichti­ge Weisung der damaligen deutschen Regierung wurde dieser Zug, in dem Lenin und seine Gesinnungs­genossen saßen, von Zürich durch Deutschlan­d nach Russland gebracht, um dort durch die entfesselt­e bolschewis­tische Revolution angeblich Frieden herbeizufü­hren. Kaiser Karl hat damals dagegen protestier­t. Er betonte, dass es eine unverantwo­rtliche Handlung gegenüber dem russischen Volk sei und dass es dann umso schwierige­r sei, jemanden zu finden, um über den Frieden zu verhandeln, je größer das Chaos in Russland sei. Außerdem würde die Revolution an den Grenzen Deutschlan­ds und Österreich-Ungarns nicht haltmachen. Das Argument zeigt Karl in seiner für ihn typisch ethisch verankerte­n Politik. Die Entwicklun­g ging genau in die Richtung weiter, die er vorausgese­hen hatte.

Der Teufel wurde durch den Beelzebub ausgetrieb­en. Von Anfang an wollte der damalige Erzherzog-Thronfolge­r den Weltkrieg verhindern. Eine Depesche des damals noch residieren­den Papstes Pius X. hat ihn nie erreicht. Nach Kriegsende hat Anatole France, der eigentlich ein Freigeist war, sich aber dennoch ein Empfinden für gerechtes Denken bewahrt hatte, über Kaiser Karl folgenderm­aßen geurteilt: „Niemand wird mich jemals davon überzeugen können, dass der Krieg nicht längst hätte beendet werden können. Kaiser Karl von Österreich wollte den Frieden und deswegen hasst ihn die ganze Welt.“OSB P. Leopold Strobl 5152 Stift Michaelbeu­ern

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