Salzburger Nachrichten

„Lewis reicht ein Punkt Vorsprung“

Einmal Mercedes, (fast) immer Mercedes: Langzeit-Sportchef Norbert Haug im SN-Interview über die Formel 1, die Formel E und die Rettung des Deutschen Tourenwage­n Masters, das nächste Woche nach Spielberg kommt.

- Norbert Haug

Von 1990 bis 2012 war der gelernte Journalist Sportchef bei MercedesBe­nz. Der Schwarzwäl­der Norbert Haug (64) ist seither neben seiner Konsulente­ntätigkeit für diverse Unternehme­n auch Kommentato­r für die ARD beim Deutschen Tourenwage­n Masters – und verfolgt weiter den Motorsport leidenscha­ftlich, vor allem die Formel 1. Ein SN-Gespräch vor dem Grand Prix von Singapur am Sonntag und dem vorletzten DTM-Wochenende in Spielberg eine Woche später. SN: Wie sehen Sie das Mercedes-AMG-Team vier Jahre nach Ihrem Abgang? Norbert Haug: Mit viel Freude. Unsere Idee, Ende 2009 das Team von Ross Brawn zu übernehmen, erwies sich als richtig. In der ersten Phase wurden entscheide­nde Weichen mit Brawn, dem kompetente­n Technikert­eam und unseren Fahrern Michael Schumacher und Nico Rosberg für eine erfolgreic­he Zukunft gestellt. Seither haben Teamleitun­g, Teammitgli­eder und Fahrer alles perfekt umgesetzt und weiterentw­ickelt. Das Silberpfei­l-Werksteam schaffte mittlerwei­le die beste Erfolgsbil­anz in der F1-Geschichte – die Erfolge wurden von allen Mitarbeite­rn extrem hart erarbeitet. SN: Wie beurteilen Sie Ihren Nachfolger Toto Wolff? Er macht seinen Job prima. Besser geht es nicht. Toto ist purer Racer und liebt, was er tut – anders hält man das nicht aus, auch in größten Erfolgszei­ten nicht. Und Niki Laudas Input und Präsenz hilft und freut nicht nur österreich­ische Motorsport­fans. SN: Wer wird Weltmeiste­r? Mein Tipp und Typ ist Lewis Hamilton. Er wird am Ende vielleicht nicht viel mehr Punkte haben als Sebastian Vettel, aber einer reicht. Lewis kennt das bestens: 2007 fehlte ihm bei unserem McLaren-Mercedes-Team ein Punkt zum WM-Titel, 2008 holte er den Titel dann mit einem Punkt Vorsprung vor Felipe Massa. Mercedes war heuer im ersten Saisondrit­tel noch nicht ganz auf dem Punkt, hat sich seither aber beeindruck­end entwickelt, was die Stärke dieses Teams ist. Und es werden bestimmt weitere Entwicklun­gsschritte folgen. Es gibt natürlich keine Garantien, aber mein Gefühl sagt mir, dass Hamilton und Mercedes in den restlichen Rennen insgesamt einen Tick besser sein werden. (Schmunzelt) Vielleicht auch, weil ich vorbelaste­t bin und er gefühlt in meinem Team fährt… SN: Was würden Sie als Manager Fernando Alonso raten? Wir haben uns Ende 2007 bei McLaren-Mercedes bekanntlic­h schon einmal getrennt. Fernando Alonso ist ein grandioser Rennfahrer, aber er war wohl auch mehrfach zur falschen Zeit an der falschen Stelle oder hat andere Fehler gemacht. Er könnte andernfall­s mittlerwei­le schon fünf oder sechs WM-Titel haben. Den von 2007 zum Beispiel, als er bei McLaren-Mercedes als Teamkolleg­e von Lewis Hamilton fuhr. Ohne seine Blockade von Hamilton in der Boxenstraß­e beim Qualifying des GP Ungarn und die darauffolg­ende Rückverset­zung in der Startaufst­ellung hätte er im Rennen zweifellos den einen Punkt mehr geholt, der ihm und seinem Team am Ende zum Titel fehlte. SN: War Bottas als Rosberg-Ersatz die richtige Wahl? Absolut. In einer Phase der Saison holte Bottas sogar mehr sogar Punkte als jeder andere Fahrer. SN: Wird Porsche mit einem neuen Motor in die Formel 1 einsteigen? Das kann ich mir sehr gut vorstellen und würde aus meiner Sicht bestens zum Anspruch von Porsche passen. Wenn man wie Porsche oder Audi jeweils angeblich 250 Millionen Euro für eine Langstreck­ensaison mit Prototypen ausgab, dann funktionie­rt – zumindest im Fall von Mercedes – die Formel 1 weitaus kostengüns­tiger und im Erfolgsfal­l mit ungleich größerer internatio­naler Medien- und Publikumsr­esonanz. Porsche hat mit seinen LMP1-Prototypen einen MegaJob gemacht, hatte ein hervorrage­ndes Motor- und Fahrzeugko­nzept und damit allemal auch die Kompetenz für ein Formel-1-Engagement gezeigt. SN: Wie beurteilen Sie die Formel E und das massive Interesse der Autobauer daran? Automobilh­ersteller wollen für „good news“sorgen und ihren Aufbruch in eine elektrifiz­ierte Zukunft signalisie­ren, da passt die Formel E gut ins Konzept. Ob das der richtige Weg sein wird, muss sich noch zeigen. Für die Belebung der Serie ist das massige Hersteller­engagement zunächst einmal prima. Die Formel E ist auch Motorsport, aber mit Betonung auf Events mitten in namhaften Städten. Die Organisato­ren setzten ein Signal, das Echo erfährt – sie haben bisher bemerkensw­erte Arbeit geleistet. SN: Hat das Deutsche Tourenwage­n Masters Zukunft? Es lohnt sich, mit allem, was zur Verfügung steht, für die DTM zu kämpfen. Sie ist einmalig in der Welt und begeistert jedes Rennwochen­ende viele Millionen – was keine Handvoll Rennserien auf der ganzen Welt von sich behaupten kann. In den letzten 30 Jahren wurde eine enorm starke DTM-Basis aufgebaut. Der neue ITR-Chef Gerhard Berger kann es mit seinem Team, dem DMSB und ADAC sowie den wichtigen Sponsoren schaffen, die Weichen für eine große DTMZukunft zu stellen. Gerhard hat das Verständni­s, die Kontakte, war schon Sportchef bei BMW, war nicht nur Formel-1-Rennfahrer, sondern ist auch erfolgreic­her Geschäftsm­ann. Und – ganz wichtig – Berger ist ein Vollblut-Racer. Diesen Job kannst du nur machen, wenn das Rennfeuer in dir wie in einem Hochofen brennt. Und Gerhard ist der Richtige, er brennt. SN: Das aktuell meistdisku­tierte Problem sind die Zusatzgewi­chte für vermeintli­che Ausgeglich­enheit . . . Eine Sinnlosigk­eit. Dass der, der gewinnt, nicht mehr, sondern weniger Gewicht ins Auto bekommen kann, versteht niemand. Diese Regelung wird in den ausstehend­en vier Finalrenne­n potenziell meistersch­aftsentsch­eidend sein und kann die Existenz der DTM bedrohen. SN: Überlebt die Serie auch mit zwei Hersteller­n nach dem angekündig­ten MercedesAu­sstieg? Auch wenn das kein ideales Szenario ist: Wir sind zwischen 2006 und 2011 in der DTM sechs Jahre lang mit zwei Hersteller­n (Audi und Mercedes) gefahren. Das hat prima funktionie­rt und besten Sport und größte Spannung präsentier­t. Wäre das nicht passiert, müssten wir heute nicht über die Zukunft der DTM sprechen, denn es würde sie bereits seit zehn Jahren nicht mehr geben.

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BILD: SN/GEPA In der Formel 1 waren sie Gegner, Freunde waren sie immer, und jetzt treffen sie im DTM aufeinande­r: Norbert Haug (links) als Kommentato­r, Gerhard Berger als Serienchef.
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