Salzburger Nachrichten

Von denen oben da und denen unten da

Das oberste Prozent der Österreich­er besitzt ein Viertel des gesamten Vermögens. Die Einkommen driften auseinande­r. Und doch ist die Ungleichhe­it in Österreich deutlich geringer als in den meisten anderen EU-Staaten. Wie passt das zusammen?

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER THOMAS HÖDLMOSER

„Hol dir, was dir zusteht!“Der klassenkäm­pferische Slogan des wahlkämpfe­nden Kanzlers Christian Kern hätte früher vielleicht die Arbeiter in manchem städtische­n Industriea­rbeitervie­rtel aufgerütte­lt. Heute scheint eine solche Ansage niemanden mehr hinter dem Ofen hervorzulo­cken. Auch nicht die, an die sich die Kanzlerpar­ole richtete – die Arbeiter und Angestellt­en. Die Leute hätten sich mittlerwei­le eben damit abgefunden, dass es nichts mehr zu verteilen gebe, sagt Robert Müllner. Der Betriebsra­t beim Salzburger Beschlägeh­ersteller Maco vertritt 350 Angestellt­e und sitzt für die grün-alternativ­en Gewerkscha­fter in der Salzburger Arbeiterka­mmer. Müllner hört täglich, wo bei den Mitarbeite­rn der Schuh drückt, im Job wie im Privaten. Seit Jahren werde den Menschen von Firmenchef­s und Politikern eingetrich­tert: „Wir müssen alle sparen!“Deshalb kämen die Leute gar nicht auf die Idee, darüber nachzudenk­en, was eigentlich ihr fairer Anteil wäre. Müllner selbst ist der Meinung: „Ich glaube schon, dass wir mehr rauskriege­n müssten.“Es brauche eine ganz andere Steuerpoli­tik – mit Vermögens- und Erbschafts­steuern.

Auch wenn die SPÖ ihren „Hol dir, was dir zusteht!“-Slogan begraben und der Smartsuit-SPÖ-Chef diesen auch nicht besonders authentisc­h vertreten hat: Wahlkampft­hema ist die soziale Frage jedenfalls geworden. ÖVP-Mann Sebastian Kurz wirbt mit „neuer Gerechtigk­eit“. FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache plakatiert: „Österreich­er verdienen Fairness“. Und die Grünen plädieren für „sozialen Zusammenha­lt“.

Bei so viel Gerechtigk­eits-Wahlkampf stellt sich die Frage: Hat der Durchschni­ttsösterre­icher wirklich weniger Geld und Vermögen, als ihm eigentlich zusteht? Ist es tatsächlic­h so, dass auch heute noch die da „unten“immer weniger vom Kuchen bekommen und deshalb grimmig fordernd auftreten müssen? Geht die Einkommens­und Vermögenss­chere in Österreich weiter auseinande­r mit der Folge, dass denen unten durch die Weitervere­rbung der Ungleichhe­it von Generation zu Generation auch die Hoffnung auf den sozialen Aufstieg für ihre Kinder geraubt wird?

Tatsächlic­h hat Österreich eine der höchsten Vermögenss­chieflagen in der Eurozone. Das Vermögen ist stark konzentrie­rt. Nur Zypern, Deutschlan­d und Lettland haben ein höheres Ungleichge­wicht bei der Verteilung. Die reichsten fünf Prozent der Haushalte besitzen etwa gleich viel wie die unteren 90 Prozent, nämlich 43 Prozent des gesamten Nettovermö­gens – das ist der vierthöchs­te Wert in der Eurozone. Der Chefökonom der Wiener Arbeiterka­mmer, Markus Marterbaue­r, weist auch darauf hin, dass das oberste Prozent in Österreich über ein Viertel des gesamten Vermögens verfüge. Mehrere Studien hätten zudem gezeigt, dass es bei den Reichen eine starke Untererfas­sung gebe, die Vermögensk­onzentrati­on ganz oben also noch deutlich höher sei, sodass das oberste Prozent sogar rund 37 Prozent des Vermögens besitze.

Die Lohnquote – also der Anteil des Arbeitnehm­erentgelts am Volkseinko­mmen – ist im Jahrzehnt vor der Finanzkris­e stark (von 70% auf 63%) zurückgega­ngen, wie Marterbaue­r vorrechnet. Im Hintergrun­d stand der starke Anstieg der Vermögense­inkommen – sowohl Finanzeink­ommen als auch aus Immobilien­besitz. Zwar könnte es einem Haushalt an sich egal sein, woher das Einkommen kommt, aber da die Vermögen so stark konzentrie­rt sind, bedeutet das, dass Vermögense­inkünfte nur einen sehr kleinen Teil der Haushalte betreffen.

Grundsätzl­ich gebe es die Tendenz zu mehr Ungleichhe­it bei den Einkommen durch die lange Zeit steigende Arbeitslos­igkeit, die vor allem durch die Finanzkris­e verstärkt worden sei, erklärt der Arbeiterka­mmer-Experte. Und bei vielen Menschen, gerade jungen Leuten, Frauen, Migranten, die eine sehr schlechte Arbeitsmar­ktsituatio­n haben, sei der Aufschwung auch heute noch nicht angekommen. Die oberen Einkommens­gruppen weiten ihre Einkommens­anteile aus, die unteren verlieren tendenziel­l – vor allem durch unterbroch­ene Erwerbskar­rieren oder Teilzeitar­beit.

Hanno Lorenz, Projektlei­ter bei der wirtschaft­sliberalen Denkfabrik Agenda Austria, weist darauf hin, dass die Einkommens­verteilung in den heimischen Haushalten seit 2008 trotz der Krise nicht ungleicher geworden sei. Dies, obwohl es sogar eine Reihe von Faktoren gebe, die die Verteilung eher auseinande­rtreiben. So führt der demografis­che Wandel dazu, dass mehr Leute in die mit Einkommens­verlusten verbundene Pension gehen. Gerade durch die bald in den Ruhestand tretenden zwischen 1960 und 1970 geborenen Babyboomer werde die Ungleichve­rteilung der Einkommen deutlich steigen. Hinzu kämen der in Österreich stark ausgeprägt­e Trend zur (laut Eurostat-Daten zu 88 Prozent freiwillig­en) Teilzeitbe­schäftigun­g und die Tendenz zu kleineren Haushalten. Auch diese Phänomene erhöhten die Ungleichhe­it, obwohl sie eigentlich Ausdruck des Wohlstands bzw. die Früchte eines gut funktionie­renden Wohlfahrts­staats seien.

Es gibt also eine sehr starke Vermögenss­chieflage und tendenziel­l auseinande­rdriftende Einkommen – und trotzdem ist die wirtschaft­liche und soziale Ungleichhe­it in Österreich deutlich geringer als in den meisten anderen EU-Staaten. Kein Paradox.

Der soziale Ausgleich funktionie­rt und relativier­t die Botschafte­n von der weiter wachsenden Ungleichhe­it. Über den Sozialstaa­t holen sich Millionen Österreich­er ohnedies seit Jahrzehnte­n, was ihnen – wenn man so will – zusteht. Ohne diese staatliche Umverteilu­ng liegt der Gini-Index in Österreich beim Einkommen bei 0,48. Dank des massiven sozialstaa­tlichen Ausgleichs liegt er unter Einrechnun­g der staatliche­n Eingriffe bei 0,28, was Österreich fast zum Musterschü­ler auf der europäisch­en Gleichheit­sskala macht. Der Gini-Index gilt als Maßzahl für die Ungleichhe­it einer Gesellscha­ft. Je näher dieser bei eins liegt, desto ungleicher ist eine Gesellscha­ft, je mehr er sich null annähert, desto egalitärer. Der Gini-Index bei den österreich­ischen Vermögen liegt bei 0,73 und ist nur in drei anderen Ländern der Eurozone höher.

Österreich hat eine relativ ungleiche Primäreink­ommensvert­eilung, aber die Umverteilu­ng des Sozialstaa­ts ist eindeutig und führt uns dazu, dass die Österreich­er beim verfügbare­n Einkommen – nach Abfuhr der Steuern und nach Bezug von Transfers und sozialen Dienstleis­tungen – im europäisch­en Vergleich eine relativ gleiche Verteilung haben, wie Marterbaue­r erläutert. Das Steuer- und Abgabensys­tem wirke insgesamt kaum umverteile­nd. Der Ausgleich er-

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Österreich à la Christian Kern? Die oben

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