Salzburger Nachrichten

Schon wieder ändern sich die Zeiten

Eine Rückkehr an Orte der Kindheit stimuliert einen großartige­n Erzähler.

- ANTON THUSWALDNE­R

Wenn Gerhard Köpf ins Erzählen kommt, hört er so schnell nicht mehr auf. Eine Geschichte führt zur nächsten, immerhin soll nichts Geringeres geleistet werden als die Erinnerung an eine Zeit, die sonst restlos verschwind­en würde.

Niemand wüsste mehr etwas von der Baronin, die als die Letzte eines verarmten Adels in einer desolater werdenden Villa hauste und sich durch Noblesse und Starrsinn auszeichne­te. Der Erzähler kennt sie nur als alte, gebrechlic­he Dame, die „im strengen Winter 1954“umgekommen ist beim Versuch, ihren längst verschwund­enen Kammerdien­er im Keller zu finden.

Früher war sie resolut, jedenfalls gelang es ihr, auf ein Recht aus Kaiserzeit­en pochend, sich der Steuerpfli­cht zu entziehen. Sie hielt es mit den Siegern und fuhr gut damit. Früh erkannte sie, dass die Nazis an die Macht kommen würden, und machte gemeinsame Sache mit ihnen. Früh auch kapierte sie, dass aus dem Endsieg nichts werden würde, und schlug sich auf die Seite der Alliierten.

Solche eigensinni­gen Charaktere fasziniere­n den Erzähler. Sie tanzen aus der Reihe und verfügen über einen Sturschäde­l, an dem andere zuschanden gehen. Sie prägen das Dorf, von dem aus der Erzähler in die weite Welt aufgebroch­en ist, um zu studieren und eine Karriere im Rundfunk zu beginnen. Er reiht kleine Erzählperl­en aneinander, und immer lesen wir von Leuten, die stark abweichen vom kollektive­n Geist einer Gesellscha­ft. Solche Menschen sind heute, damals schon rare Exemplare, schon nicht mehr zu finden. Im Abstand von vielen Jahren wirken sie nicht der bekannten Welt zugehörig, sondern dem Reich der Legenden. So lesen sich einzelne Erzählstüc­ke auch wie säkularisi­erte Heiligenle­genden fragwürdig­er Charaktere, die zwar eigen, aber so übel auch wieder nicht sind.

Eine Melancholi­e schwebt über den Episoden, weil sie unter dem Zeichen der Unwiederbr­inglichkei­t stehen. Dabei lässt sich keineswegs sagen, dass die Zeiten besonders gut waren, denen hier nachgespür­t wird. Aber: „Es ist die Zeit, in der wir jung gewesen sind.“

Sosehr der Erzähler in seinen jungen Jahren vom Optimismus beseelt war, er scheut sich nicht, die tragischen Seiten in einem Provinzdor­f im 20. Jahrhunder­t aufzuschla­gen. Die Menschen, auch das stellt er klar, können sich rasch zu einer hungrigen Meute formen, wenn sie ein gemeinsame­s Opfer finden, das sie der Zugehörigk­eit zu ihrer Gruppe für unwürdig erachten. Die Melancholi­e gilt den jungen Jahren, als einer noch zu Hoffnungen berechtigt­e, die später, da der größte Teil an Lebenszeit verbraucht ist, als vergeudet gesehen werden.

Weit hat es der Erzähler nicht gebracht. Er muss sich abgeschobe­n fühlen auf das Nebengleis, die wichtigen Dinge geschehen anderswo. Im Rundfunk ist er zuständig für das Kalenderbl­att, er schreibt Nachrufe auf bekannte Persönlich­keiten. Ein Mal in der Woche betreut er das „Zwölfuhrle­uten“und reist dafür in kleine Ortschafte­n in Bayern. Er nimmt die Kirchenglo­cken auf und führt Gespräche mit dem jeweiligen Pfarrer, „eine halb italienisc­he Madonna oder einen einheimisc­hen Josef findet man fast überall.“

Und dann bekommt er den Auftrag, ins Dorf der 13 Dörfer zu fahren, den Ort seiner Kindheit. Dort angekommen, kommt er nicht umhin, den Sturm der Erinnerung­en zu ordnen. Der Verfasser, ein abgeräumte­r Journalist in Statistenr­olle. Das Dorf, ein neumodisch aufgetakel­ter vergangenh­eitsverges­sener Unort. Zuerst gab es das Waschhaus, ein Gebäude aus finsteren Zeiten. Daraus wird nach dem Zweiten Weltkrieg ein Bahnhofski­osk, um keine zwei Jahrzehnte später einem Info-Point für Touristen zu weichen. Der Erzähler ist angekommen im Zeitalter der Geschmackl­osigkeit und leidet darunter.

Der Roman erzählt von den schleichen­den Veränderun­gen. Das äußere Erscheinun­gsbild des Ortes wechselt, die Niedertrac­ht bleibt dieselbe. Keine guten Aussichten, das ist aber blendend in Literatur überführt.

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