Salzburger Nachrichten

Warum Religionen anfällig für Gewalt sind

Der Glaube an „das Heiligste“kann jederzeit in eine tödliche Ideologie umschlagen. Was können Religionen dagegen tun?

- Josef Bruckmoser JOSEF.BRUCKMOSER@SALZBURG.COM

Landläufig wird den monotheist­ischen Religionen nachgesagt, dass sie wegen ihres Glaubens an den einen Gott, der keine anderen Götter neben sich dulde, anfällig für Gewalt seien. Derzeit sorgt jedoch ein buddhistis­cher Hasspredig­er in Myanmar für Aufsehen. Er wird für viele Gräuel gegen Muslime in dem südostasia­tischen Staat mit verantwort­lich gemacht.

Hat also der Dalai Lama recht mit seiner Aussage, die er 2015 nach dem Terroransc­hlag auf die Satirezeit­schrift „Charlie Hebdo“formuliert hat? „Ich denke an manchen Tagen“, so sagte der prominente Buddhist, „dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle Heiligen Schriften bergen ein Gewaltpote­nzial in sich.“

Tatsächlic­h scheint keine Religion davor gefeit, für ideologisc­he und politische Zwecke missbrauch­t zu werden. Die Religionen ziehen sich meist so aus der Affäre, dass die in ihrem Namen ausgeübte Gewalt nicht dem Kern ihrer Botschaft entspreche. Der islamistis­che Terror habe nichts mit dem Koran zu tun. Die Kreuzzüge seien – im krassen Widerspruc­h zum Gebot der Nächstenli­ebe – eine höchst bedauerlic­he historisch­e Verirrung des Christentu­ms gewesen.

Befriedige­nd sind diese Ausreden nicht. Denn die Kreuzfahre­r haben selbstvers­tändlich das Kreuz auf ihren Rüstungen getragen, und islamistis­che Terroriste­n brüsten sich mit dem Ruf „Allah ist groß“. Auch die Enthaltung von jeder Religion, wie sie der Dalai Lama angedacht hat, ist keine Lösung, weil Religiosit­ät offenbar urtümlich zur Menschheit gehört.

Drei Wegweiser könnten in eine humanisier­te Zukunft der Religionen führen. Ein erster ist das Bekenntnis eigener Schuld, wie es Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 auch dahingehen­d abgelegt hat, dass Christen sich fallweise von der Feindschaf­t gegen die Anhänger anderer Religionen hätten leiten lassen.

Das Zweite ist die Einsicht, dass jede ernsthafte religiöse Überzeugun­g etwas Heiliges an sich hat, aber einzig und allein für den jeweiligen Gläubigen. In keiner Weise darf die Freiheit eines anderen eingeschrä­nkt werden, sich zu einer anderen oder gar keiner Religion zu bekennen. Dazu gehört auch, dass Machtpolit­ik und Religion streng zu trennen sind.

Ein Drittes wäre die Herausford­erung an die Religionen, ihren humanistis­chen Mehrwert zu beweisen. Dazu kann das Streben nach einem Weltethos beitragen, für das gemeinsame Einsichten der Religionen eine ausgezeich­nete Quelle sind. Etwa die weithin geltende Goldene Regel: Was du nicht willst, dass dir man tu’, das füg’ auch keinem andern zu.

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