Warum Religionen anfällig für Gewalt sind
Der Glaube an „das Heiligste“kann jederzeit in eine tödliche Ideologie umschlagen. Was können Religionen dagegen tun?
Landläufig wird den monotheistischen Religionen nachgesagt, dass sie wegen ihres Glaubens an den einen Gott, der keine anderen Götter neben sich dulde, anfällig für Gewalt seien. Derzeit sorgt jedoch ein buddhistischer Hassprediger in Myanmar für Aufsehen. Er wird für viele Gräuel gegen Muslime in dem südostasiatischen Staat mit verantwortlich gemacht.
Hat also der Dalai Lama recht mit seiner Aussage, die er 2015 nach dem Terroranschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“formuliert hat? „Ich denke an manchen Tagen“, so sagte der prominente Buddhist, „dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle Heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotenzial in sich.“
Tatsächlich scheint keine Religion davor gefeit, für ideologische und politische Zwecke missbraucht zu werden. Die Religionen ziehen sich meist so aus der Affäre, dass die in ihrem Namen ausgeübte Gewalt nicht dem Kern ihrer Botschaft entspreche. Der islamistische Terror habe nichts mit dem Koran zu tun. Die Kreuzzüge seien – im krassen Widerspruch zum Gebot der Nächstenliebe – eine höchst bedauerliche historische Verirrung des Christentums gewesen.
Befriedigend sind diese Ausreden nicht. Denn die Kreuzfahrer haben selbstverständlich das Kreuz auf ihren Rüstungen getragen, und islamistische Terroristen brüsten sich mit dem Ruf „Allah ist groß“. Auch die Enthaltung von jeder Religion, wie sie der Dalai Lama angedacht hat, ist keine Lösung, weil Religiosität offenbar urtümlich zur Menschheit gehört.
Drei Wegweiser könnten in eine humanisierte Zukunft der Religionen führen. Ein erster ist das Bekenntnis eigener Schuld, wie es Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 auch dahingehend abgelegt hat, dass Christen sich fallweise von der Feindschaft gegen die Anhänger anderer Religionen hätten leiten lassen.
Das Zweite ist die Einsicht, dass jede ernsthafte religiöse Überzeugung etwas Heiliges an sich hat, aber einzig und allein für den jeweiligen Gläubigen. In keiner Weise darf die Freiheit eines anderen eingeschränkt werden, sich zu einer anderen oder gar keiner Religion zu bekennen. Dazu gehört auch, dass Machtpolitik und Religion streng zu trennen sind.
Ein Drittes wäre die Herausforderung an die Religionen, ihren humanistischen Mehrwert zu beweisen. Dazu kann das Streben nach einem Weltethos beitragen, für das gemeinsame Einsichten der Religionen eine ausgezeichnete Quelle sind. Etwa die weithin geltende Goldene Regel: Was du nicht willst, dass dir man tu’, das füg’ auch keinem andern zu.