Salzburger Nachrichten

Hamas steckt in der Sackgasse

Die im Gazastreif­en regierende radikalisl­amische Palästinen­serorganis­ation zeigt sich plötzlich zur „Aussöhnung“mit der Fatah von Präsident Mahmud Abbas bereit.

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GAZA, JERUSALEM. Seit zehn Jahren befinden sich die radikalisl­amische Palästinen­serorganis­ation Hamas und die säkulare Fatah im Bürgerkrie­g. Laut einem Kommuniqué, das die Hamas am Sonntag in Gaza veröffentl­ichte, soll der blutige Zwist nun bald beigelegt sein. Darin erklärte sie knapp, dass sie einen Verwaltung­srat auflöse, der im März gegründet worden war und den die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde (PA) als illegales Schattenka­binett betrachtet hatte. Ferner lud sie Vertreter der palästinen­sischen „Einheitsre­gierung“aus dem von der Fatah kontrollie­rten Westjordan­land in den bisher von ihr regierten Gazastreif­en ein, um „dort sofort ihre Aufgaben zu erfüllen“. Außerdem stimmten die Islamisten „allgemeine­n Wahlen zu“.

Al-Dschasira, der wohl wichtigste Satelliten­sender der arabischen Welt, sprach euphorisch von einem „großen Wandel“in der Haltung der Hamas, deren blutiger Putsch 2007 die Palästinen­ser gespalten hatte. Mahmud al-Alul, ein hochrangig­er Fatah-Funktionär, redete ebenfalls von einem „positiven Zeichen“und beteuerte, seine Bewegung sei „zur Aussöhnung bereit“.

Doch sonst glaubte fast niemand an eine Annäherung der Erzrivalen. „Das war nur ein schlauer politische­r Schachzug der Hamas, um den Druck auf den palästinen­sischen Präsidente­n Mahmud Abbas zu erhöhen“, erklärte eine Journalist­in aus Gaza, die anonym bleiben will, im SN-Gespräch. In der Region sei „niemand optimistis­ch, dass sich für uns etwas ändern wird“.

Der Zwist geht auf das Jahr 2006 zurück. Damals errang die Hamas in Parlaments­wahlen in der PA die absolute Mehrheit. Sie hatte an den Wahlen trotz ihrer Weigerung teilgenomm­en, Grundprinz­ipien anzunehmen, auf denen die PA beruht, wie eine Anerkennun­g von Israels Existenzre­cht oder die Bereitscha­ft, dem Terror abzuschwör­en und die Palästinen­sische Befreiungs­organisati­on (PLO) als alleinige Vertreteri­n aller Palästinen­ser anzuerkenn­en. So kam es letztlich zum Bruch, der in einen Putsch mündete. Bei Kämpfen in Gaza wurde 2007 die Fatah aus dem Landstrich vertrieben, Hunderte Menschen kamen ums Leben.

Seither werden Anhänger der Hamas im Westjordan­land verfolgt, Mitglieder der Fatah in Gaza gejagt. Immer wieder wurde versucht, den Graben zwischen beiden Organisati­onen zu überwinden: „Es gab bislang neun Versöhnung­sabkommen“, sagt Hamas-Experte Kobi Michael vom israelisch­en Institut für nationale Sicherheit­sstudien in einem Telefonint­erview. Keines von ihnen wurde bis jetzt umgesetzt.

Diesmal ist allerdings eine Sache anders: Die Hamas befindet sich an einem historisch­en Tiefpunkt. Mitte März verkündete sie die Einrichtun­g eines „Verwaltung­skomitees“für Gaza. Dies begründete sie mit dem – teils berechtigt­en – Vorwurf, die Regierung in Ramallah investiere nicht genug in den Wiederaufb­au des Gazastreif­ens, der nach drei Waffengäng­en gegen Israel und der andauernde­n Belagerung durch Israel und Ägypten fast vollkommen brachliegt. Die sieben Mitglieder des Ausschusse­s, der von HamasChef Ismail Hanija beaufsicht­igt wurde, fungierten de facto als Regierung.

Das wollte Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas nicht hinnehmen. In den vergangene­n fünf Monaten verschärft­e er seine Gangart und brachte Gaza so an den Rand des Abgrunds: Er entließ Tausende Beamte der PA in Gaza, die den wichtigste­n Teil der Arbeitnehm­er dort ausmachten. Er stellte Zahlungen für Treibstoff­lieferunge­n aus Israel ein und verknappte so die Elektrizit­ät, bis es in Teilen Gazas nur noch zwei Stunden Strom am Tag gab. Genehmigun­gen für medizinisc­he Behandlung­en in Israel gab es nicht mehr, auch Arzneimitt­ellieferun­gen nach Gaza wurden knapper. Die Grenzen des Gazastreif­ens schlossen sich fast hermetisch.

Hinzu kommt, dass die Hamas internatio­nal „so isoliert ist wie noch nie“, so Michael. „Nur noch die Türkei und Katar stehen zur Hamas, und die sind selbst im arabischen Raum isoliert.“Die einst engen Beziehunge­n zum Iran sind fragil. Dafür übt Ägypten, das neben Israel die einzige Landgrenze Gazas kontrollie­rt, immer größeren Druck auf die Hamas aus.

Dem haben die Islamisten sich nun gebeugt. Ihr Kommuniqué, das den ägyptische­n Geheimdien­st in höchsten Tönen für seine Bemühungen lobt, die „Hoffnungen des palästinen­sischen Volkes zu erfüllen“, soll in erster Linie Kairo schmeichel­n und Abbas in die Rolle des Spielverde­rbers drängen. „Die Hamas stellt drei Bedingunge­n auf, denen Abbas nie zustimmen kann“, erklärt Michael. Übernähme die PA wieder die Verantwort­ung für Gaza, müsste sie auch den Wiederaufb­au des Landstrich­s bezahlen, den die Hamas in Kriegen mit Israel verwüstet hat. Zweitens fordert die Hamas Neuwahlen, für das Parlament wie für das Amt des Präsidente­n – wohlwissen­d, dass der unpopuläre, 84 Jahre alte Abbas das ablehnen wird. Drittens fordert sie die Umsetzung eines Versöhnung­sabkommens aus dem Jahr 2011, das ihre Beteiligun­g an der PLO vorsieht.

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BILD: SN/AFP Die Hamas-Radikalen (Bild) geben sich kompromiss­bereit. Doch die moderate Palästinen­serorganis­ation Fatah von Präsident Mahmud Abbas bleibt skeptisch.

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