Bluttat trotz Betretungsverbots
Ein 38-Jähriger erstach seine Ehefrau und die beiden Kinder. Anschließend verübte er Selbstmord. Das Betretungsverbot nützte nichts – die Opfer öffneten dem Täter die Tür.
Um 4.30 Uhr hallten Schreie durch die Gänge eines Wohnblocks in Hohenems. Das Ausmaß der Tragödie war zu diesem Zeitpunkt für die Nachbarn lediglich zu erahnen. Ein 38-jähriger Vorarlberger mit türkischen Wurzeln hatte in den frühen Morgenstunden des Samstags seine beiden Töchter im Alter von vier und sieben Jahren mit einem Küchenmesser erstochen. Dann fügte er zuerst seiner Frau tödliche Stiche zu und verletzte sich anschließend selbst so schwer, dass er laut Obduktion an den Messerstichen in die Brust starb. Beim Eintreffen der Polizei stürzte sich der Mann aus dem Badezimmerfenster im dritten Stock. Gegen den Familienvater bestand nicht nur ein aufrechtes Betretungsverbot, dieses war durch eine einstweilige Verfügung sogar zeitlich und räumlich ausgedehnt worden. Erst am Sonntag wurde bekannt, dass sich der Täter nicht gewaltsam Zutritt zur Wohnung verschaffen musste – die Ehefrau hatte ihm die Wohnungstür geöffnet.
Das Motiv für die Bluttat ist laut Polizei kaum zu klären. Obwohl der Mann amtsbekannt war, deutete wenig auf eine derartige Eskalation hin. Am 7. August hatte der 38-Jährige seine Frau gewaltsam attackiert. Daraufhin sei eine Wegweisung ausgesprochen worden, die vorerst für 14 Tage gilt. Der 33-Jährigen sei angeraten worden, das Betretungsverbot, das im Normalfall 14 Tage lang gilt, via Bezirksgericht durch eine einstweilige Verfügung zu verlängern. Danach sei Ruhe eingekehrt. Der Mann zog bei seinen Eltern ein und nahm die ihm empfohlene Täterberatung in Anspruch.
Für solche Fälle wurde in Vorarlberg ein Projekt gestartet, in dem die Polizei und die Gewaltschutzstelle des Institutes für Sozialdienste eng kooperieren. Bei jeder Wegweisung wird der Aggressor gefragt, ob er freiwillig seine Telefonnummer hergeben möchte, sodass sich die Berater melden können, um einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Die Teilnahme ist freiwillig. Das Resultat: Rund ein Drittel aller Weggewiesenen gaben ihre Kontaktnummern bekannt. Davon nahm mehr als die Hälfte das Angebot des psychosozialen Dienstes an.
Österreichweit waren 2016 insgesamt 8637 Betretungsverbote ausgesprochen worden. 2015 waren es 8261. Im selben Jahr wurden 1278 Verstöße gegen diese Vorschrift registriert. Der grüne Justiz- und Datenschutzsprecher Albert Steinhauser tritt deshalb für eine bundesweite Regelung ein: Die Kontaktdaten der Täter sollten automatisch weitergegeben werden – was jedoch nicht erlaubt ist. Denn zum Zeitpunkt der Wegweisung sind die Beschuldigten noch keine Täter. Voraussetzung dafür ist eine Verurteilung vor Gericht.
Im Fall der Familie in Hohenems schien es zunächst noch Hoffnung auf eine Aussöhnung zu geben. Sowohl zu den späteren Opfern als auch zu dem Mann habe von Behördenseite laufend Kontakt bestanden, betonte der Dornbirner Bezirkshauptmann Helgar Wurzer. Die Bluttat sei nicht vorhersehbar gewesen. „Es ist im Grunde völlig unmöglich, so etwas zu verhindern. Ein Haftgrund lag ja nicht vor“, sagte ein Sprecher der Landespolizeidirektion Vorarlberg am Sonntag. Er hob aber hervor, dass sich sämtliche Betroffene an ein Betretungsverbot halten müssten – auch die potenziellen Opfer. Darunter fiele etwa das Öffnen der Wohnungstüre. Kontakt dürfe sehr wohl gepflegt werden, dieser sollte aber an öffentlichen – also sicheren – Orten gepflegt werden.