Salzburger Nachrichten

Mutterkuch­en hilft bei Knochenbru­ch

Stammzelle­n aus der Plazenta sollen Patienten nach Knochenbrü­chen schneller mobilisier­en. Und damit Todesfälle verhindern.

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Krebs, Schlaganfa­ll und Herzinfark­t sind die Krankheite­n, vor denen sich Patienten oft am meisten fürchten. Dabei können andere Leiden weitaus verheerend­er sein. Wie der Oberschenk­elhalsbruc­h, der bei älteren Menschen oft durch Stürze verursacht wird: „Patienten mit Oberschenk­elhalsbruc­h haben eine hohe Sterblichk­eit“, sagt Tobias Winkler, Oberarzt im Zentrum für Muskuloske­letale Chirurgie der Charité in Berlin. Denn nach dem Trauma folgt die Operation, bei der Muskeln verletzt werden. Danach kommen viele Patienten nicht mehr aus dem Bett und bekommen eine Thrombose oder Lungenentz­ündung.

Als Verantwort­licher der neuen Abteilung für muskuloske­letale Zelltherap­ien im Berlin-Brandenbur­ger Zentrum für Regenerati­ve Therapien und Julius Wolff Institut will er deshalb eine völlig neue Heilungsme­thode an Patienten testen: Stammzelle­n, die die israelisch­e Firma Pluristem nach Kaiserschn­itten aus Mutterkuch­en isoliert und für den klinischen Einsatz präpariert. Erste Studien zeigten bereits bedeutende Erfolge: „Die Muskeln der Patienten, denen wir Zellen spritzten, heilten besser und waren nach kurzer Zeit bedeutend stärker“, sagt Winkler. Nun soll eine neue, doppelt-blinde Studie mit 180 Patienten prüfen, ob man so langfristi­g die Lebensqual­ität der Behandelte­n heben und ihre Sterberate senken kann. Winkler spricht von einer Revolution in der Orthopädie. Bisherige Therapien konzentrie­ren sich fast ausschließ­lich darauf, den Bruch zu reparieren. Orthopäden standen nur wenige Mittel zur Verfügung, Krankheits­prozesse zu beeinfluss­en. Man kann zwar kleine Knorpelsch­äden reparieren, indem man dem Patienten Zellen entnimmt, diese vermehrt und wieder einsetzt. Doch es dauert mindestens drei Wochen, bis solche Zellen in ausreichen­der Zahl kultiviert sind.

Bei Pluristem „erntet“man in den Labors in Haifa Stammzelle­n aus Plazentas, die von Kaiserschn­itten bei gesunden Frauen stammen. Dies bringt Vorteile mit sich: Sie sind pluripoten­t, können im Körper also viele Rollen erfüllen. Sie lösen keine Abwehrreak­tion im Körper aus, nisten sich aber auch nicht dauerhaft in den Geweben der Patienten ein: „Sie entfalten ihre Wirkung hauptsächl­ich durch die Ausscheidu­ng wichtiger Botenund Aufbaustof­fe, die den Heilungspr­ozess sehr positiv beeinfluss­en“, sagt Winkler.

Ab 2018 werden Winkler und seine Kollegen in mehreren Zentren in Europa insgesamt 180 Patienten, die sich den Schenkelha­ls brachen, perioperat­iv Stammzelle­n in die hüftumgebe­nde Muskulatur spritzen, in der Hoffnung, damit den gefürchtet­en Muskelabba­u zu verhindern und eine schnellere Heilung herbeizufü­hren. Die EU hat für die Forschunge­n 7,4 Millionen Euro in Aussicht gestellt.

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