Auch Promille können irren
Egal in welchem Tempo und in welchen Mengen: Maßloser Konsum von Alkohol ist lebensgefährlich. Doch sein Anteil im Blut hat nichts damit zu tun, wie betrunken jemand ist.
WIEN.
Nahe der deutschen Stadt Wismar hat die Polizei vor ein paar Tagen auf der Autobahn ein Fahrzeug gestoppt. Der Lenker hätte beinahe einen Unfall verursacht, was die Beamten zum Einschreiten veranlasste. Im Zuge der Kontrolle fiel auf, dass der 38-Jährige betrunken war. Beim Alkotest verschlug es den Uniformierten die Sprache: Der Mann war mit unglaublichen 4,86 Promille Alkohol im Blut unterwegs. Wie ist es möglich, dass jemand mit einem derart astronomischen Wert noch mit dem Auto fährt, während andere mit nicht einmal halb so viel „intus“ein Fall für den Notarzt sind?
„Man benötigt ein sehr gut hochgefahrenes Enzymsystem, um so etwas zu überleben“, sagt Stefan Pöchacker, der Leiter der toxikologischen Intensivstation des Wilhelminenspitals in Wien. „Anders gesagt: Bei Leuten, die bei so hohen Promillewerten noch handlungsfähig sind, handelt es sich um chronisch Kranke.“Am Blutalkoholgehalt lässt sich somit der Zustand des jeweiligen Betroffenen nicht ablesen. „Dass jenseits von sechs oder sieben Promillen automatisch jeder sterben muss, kann ich nicht bestätigen“, erklärt Pöchacker. Er selbst habe schon Fälle behandelt, die mit fünf Promille wieder heimgegangen sind. „Andererseits mussten wir bei 1,5 Promille auch schon beatmen.“Alkohol wirkt wie ein Nervengift. Konzentriert und in großen Mengen rasch konsumiert, kann er tödlich sein. Er hemmt die Atmung und lässt den Kreislauf zusammenbrechen. „Dabei zählen Atmung und Kreislauf zu den ältesten Regionen im Gehirn. Sie sind sehr robust und versagen normalerweise als letzte“, sagt der Mediziner. Doch Alkohol ist ein überaus gefinkelter Eindringling. Er durchbricht die Blut-HirnSchranke und dringt direkt und ungefiltert ins Gehirn vor. Pöchacker: „Wenn man in solchen Situationen Pech hat und es ist niemand da, der einen in die stabile Seitenlage bringt, wird es eng. Bei Atemstillstand hilft einem natürlich auch das nichts.“Deshalb sei das vor allem unter Jugendlichen beliebte Komasaufen so immens gefährlich. Denn grundsätzlich macht Alkohol müde. „Eine segensreiche Eigenschaft – man hört auf zu trinken.“
Aufräumen möchte der erfahrene Toxikologe auch mit einer „Urban Legend“, einem Ammenmärchen: Denn mit der berühmten „Auflage“– besonders beliebt: Ölsardinen – sei die Alkoholisierung weder hinauszuzögern noch zu mindern. „Um Alkohol abzubauen, braucht es Zucker. Hat man nichts gegessen, sind die Speicher leer und der Abbau wird schwierig. Das gilt aber nur für geringe Dosen. Bei ordentlichen Mengen spielt der Zuckerspiegel keine Rolle. Dann wird der Alkohol rückstandsfrei aufgenommen – auch wenn man vorher Sardinen isst.“
Körperlich könne man maßlosen Alkoholkonsum lange aushalten, psychisch wirke er sich schnell zerstörerisch aus. Pöchacker: „Alkoholismus ist eine ansteckende Krankheit, meist ist auch das Umfeld betroffen. Die Leber hält viel aus, man kann sich 90 Prozent wegsaufen. Aber auf die verbliebenen zehn Prozent sollte man sehr gut aufpassen. Denn eine Leber ist auf Dauer nicht ersetzbar.“