Salzburger Nachrichten

Angela Merkel feiert einen verlustrei­chen Sieg

Was in Österreich längst Normalität ist, hat auch Deutschlan­d erreicht – nur dass bei uns die Rechten schon zivilisier­ter sind.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SALZBURG.COM

Der Gewinner in Deutschlan­d kam nicht überrasche­nd, trotzdem sitzt der Schock tief. Die zuletzt immer offener rassistisc­he und rechtsextr­eme AfD sammelte rund dreizehn Prozent der Stimmen ein und landete nach CDU/CSU und SPD auf Platz drei. Das ist beachtlich, auch wenn Spitzenkan­didat Alexander Gauland den Mund etwas voll nahm, als er ankündigte, Alt- und Neukanzler­in Angela Merkel nun gnadenlos zu „jagen“.

Schon die Wortwahl zeigt das Reservoir, aus dem die deutschen Rechten schöpften. Es besteht aus Wut und Hass auf die Parteien, die Etablierte­n und auf die Kanzlerin, die persönlich für die Migrations­welle verantwort­lich gemacht wird. Erst bei näherem Hinsehen wird dahinter die Angst der deutschen Zornpredig­er sichtbar: Sie fürchten, mehr denn je zu den Verlierern zu zählen, sozial und wirtschaft­lich ausgebrems­t von Digitalisi­erung und Globalisie­rung, in ihrer deutschen Identität verloren inmitten einer Gesellscha­ft aus vielen Religionen und Hautfarben.

Das ist der Stoff, aus dem die Rechten nicht nur in Deutschlan­d ihre Kraft beziehen. Auch die FPÖ in Österreich bedient diese Befürchtun­gen, die von den anderen Parteien viel zu lange nicht ernst genommen worden sind, und wenn, dann zu wenig. Nur hat sich die FPÖ das martialisc­he Auftreten, wie es die AfD immer noch pflegt, abgewöhnt. Schließlic­h will sie sich als Regierungs­braut hübsch machen. So weit sind die deutschen Recken noch lange nicht.

Angela Merkel wird Kanzlerin bleiben – nach einem verlustrei­chen Sieg. 33 Prozent der Stimmen sind ein schöner Erfolg, aber um mehr als acht Prozentpun­kte weniger als 2013. Der gewohnte Koalitions­partner aber könnte ihr abhandenko­mmen. Mit einer demokratis­chen Klarheit, die den österreich­ischen Beobachter neidvoll zurückläss­t, nahmen führende SPD-Vertreter ihre historisch­e Niederlage als Auftrag zur Opposition entgegen.

Die Grünen haben leicht zugelegt. Sie setzten mit Klima und Umwelt auf die richtigen Themen; daran konnte selbst der müde Wahlkampf nichts ändern. Und Sahra Wagenknech­t, immer wieder als längst überholt verspottet, konnte mit einer konsequent linken Politik die Stellung halten. Jedenfalls aber wollten viele Deutsche die FDP in der Regierung sehen. Spitzenkan­didat Christian Lindner traf mit seiner durchaus europakrit­ischen, aber marktfreun­dlichen und unbekümmer­ten Linie ins Schwarze.

So wird Deutschlan­d wohl Neues wagen: Merkel muss es mit Grünen und Liberalen versuchen.

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