Zwei Parteien müssen sich zusammenraufen
Grüne und Liberale trennen Welten. Trotzdem sollen sie mit der CDU in eine Regierung.
Katrin Göring-Eckardt stehen Tränen der Erleichterung in den Augen, als sie zum Mikrofon geht. Cem Özdemir neben ihr ist die Anspannung noch ins Gesicht geschrieben. „Wer hätte das gedacht?“, ruft ihnen ein Grüner durch den Jubel zu. „Wer hätte das gedacht?“, wiederholt GöringEckardt ins Mikrofon. Eine Partei atmet auf. Und weiß, dass schwierige Wochen kommen.
Selbst die Optimisten in der Ökopartei hatten kaum noch auf ein besseres Ergebnis als vor vier Jahren zu hoffen gewagt, die 8,4 Prozent waren damals eine schlimme Schlappe. Nun steht laut Hochrechnung fast die Neun vor dem Komma. Zweistellig und dritte Kraft im Bundestag, das offizielle Wahlziel, ist zwar nicht erreicht. Am Sonntagabend ist das aber fast egal. Wenn die Grünen eine Jamaika-Koalition mit Union und FDP sondieren, dann sind sie kleinster Partner – aber kein einfacher. „Wir sind kein gerupftes Hühnchen, über das sich die anderen hermachen können“, frohlockt Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer.
Die Grünen wollen drei Ministerien, sie wollen Zugeständnisse beim Kohleausstieg, bei Elektroautos – aber das wird nicht reichen. „Es muss mehr kommen als ein bisschen Öko“, sagt schon jetzt ein Vertreter des linken Parteiflügels. Auch in der Sozialpolitik müssten Erfolge her.
Klappt das mit Union und FDP? Wenn nicht, drohen Neuwahlen. Aber die Zeichen stehen auf Erfolg. Parteiintern sind die beiden Spitzenkandidaten Özdemir und Göring-Eckardt unumstritten. Und während vor vier Jahren ein erheblicher Teil der Partei strikt gegen Schwarz-Grün war, sprechen diesmal auch die Linksgrünen viel von staatsbürgerlicher Verantwortung. Das Argument, dass noch einmal vier Jahre Große Koalition schlecht für das Land wären, nehmen sie sehr ernst – auch wenn manchen die Oppositionsrolle lieber wäre.
Für die Spitzenkandidaten stand viel auf dem Spiel, sie haben ihren realpolitischen Kurs gegen manche Widerstände durchgesetzt. Größere Personalrochaden sind unwahrscheinlich, solange sondiert und verhandelt wird. Bei aller Erleichterung: Über die Neubesetzung der Partei- und Fraktionsspitzen wird intern unabhängig vom Wahlergebnis längst gesprochen. Özdemir hat angekündigt, dass er nach neun Jahren nicht noch einmal Parteichef werden will. Robert Habeck ist der Name, der am häufigsten fällt. Er ist Umweltminister in Schleswig-Holstein – in einer Jamaika-Koalition.
FDP-Chef Christian Lindner, großer Wahlsieger mit 10,6 Prozent, hält indessen den Ball flach. Aus den Trümmern einer abgewirtschafteten Klientelpartei formte die stark verjüngte Parteiführung einen neuen liberalen Markenkern. Weniger kalt, weniger schrill, weniger auf Regierungs-Dienstwagen fixiert – dafür mit mehr Demut und Prinzipien, wie Lindner immer wieder betont.
Viele in der Partei halten eine Regierungsbeteiligung für verfrüht. Lindner konnte sich am Sonntag auch eine Oppositionsrolle vorstellen. „Wir sind nicht zum Regieren verdammt“, betonte er. Aber natürlich „sind wir auch bereit, politische Verantwortung zu übernehmen“.
Bezüglich der AfD empfahl der Liberale einen kühlen Kopf. „In Nordrhein-Westfalen hat die AfD gezeigt, dass sie kein Interesse an der Sacharbeit hat. Da gibt es ein paar provokante Äußerungen und dann machen die sich ab ans Buffet“, sagte er am Sonntagabend. Er ahne, dass das im Bundestag ähnlich sein werde.
Man sollte die Partei ganz konkret zu Themen befragen. Man werde sehr schnell feststellen, „da ist wenig Substanz“.