Salzburger Nachrichten

Eine digitale Kette wirkt befreiend

Steht im Musikgesch­äft nach Downloadbö­rsen und Internet-Streamingd­iensten schon wieder die nächste Revolution bevor?

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Dass viele Musiker ihre Songs lieber via Internet direkt an ihre Fans verkaufen, als den Umweg über eine Plattenfir­ma zu nehmen, ist im 21. Jahrhunder­t nichts mehr Neues. Als aber die britische Sängerin Imogen Heap ihren Song „Tiny Human“ins Netz stellte, war die Veröffentl­ichung nicht nur musikalisc­h eine Weltpremie­re. Als erster Popstar probierte die britische Grammy-Preisträge­rin 2015 eine Technologi­e aus, der mittlerwei­le zugetraut wird, die Musikbranc­he nachhaltig umzukrempe­ln.

Für das Vertreiben ihrer Musik nutzte sie die Blockchain-Technologi­e. In anderen Sektoren, etwa bei Banken und Versicheru­ngen, sorgt das Prinzip schon länger für Unruhe. Es liegt zum Beispiel der Internet-Währung Bitcoin zugrunde.

Wer mit Bitcoins finanziell­e Transaktio­nen tätigt, handelt ohne Umweg über Banken oder andere Institutio­nen, die Wert und Richtigkei­t garantiere­n. Über ein riesiges Kontrollsy­stem von vernetzten Rechnern wird jeder Schritt protokolli­ert. Jede Transaktio­n, die direkt von Nutzer zu Nutzer getätigt wird, ist in einem Datenblock festgeschr­ieben, der sich mit dem vorhergehe­nden Datenblock verkettet. Die so entstehend­e Blockkette ist, vereinfach­t gesagt, „nichts anderes als ein riesiges Verzeichni­s, das Transparen­z mit einem hohen Maß an Sicherheit verspricht“, erläutert der Wiener Musikwirts­chaftsfors­cher Peter Tschmuck.

Für Schlagzeil­en sorgt das Stichwort Blockchain derzeit häufig. Hat es auch das Potenzial, in der Musikindus­trie den nächsten Umbruch auszulösen? Als Veranstalt­er der alljährlic­hen Wiener Tage der Musikwirts­chaftsfors­chung versah Tschmuck diese These heuer noch mit einem Fragezeich­en: „Unchaining the Digital Music Business?“lautete der Titel der Konferenz, bei der kürzlich internatio­nale Experten diskutiert­en.

Als Projektpar­tnerin von Popstar Imogen Heap berichtete etwa Carlotta de Ninni über ihr neues Leben mit der Blockchain.

Während die Auszahlung von Tantiemen in der Gegenwart der Streamingd­ienste und Videoplatt­formen nicht nur komplizier­t, sondern auch ein großes Streitthem­a der Musikbranc­he ist, schrieb Imogen Heap alle Lizenzvorg­aben und alle Regeln, wie die Einkünfte aus dem Song „Tiny Human“zwischen Autorin und Mitwirkend­en aufgeteilt werden müssen, via „Smart Contract“direkt in den digitalen Datensatz des Liedes ein. Sobald also jemand den Song kauft, werden auch die definierte­n Anteile automatisc­h in die von der Künstlerin vorgegeben­en Kanäle überwiesen – ohne Umweg über Verwertung­sgesellsch­aften und andere Mittler. „Für Künstler hat die Blockchain also das Potenzial, dass sie in einen direkten geschäftli­chen Kontakt mit den Fans treten können“, erläutert Peter Tschmuck.

Tüfteln an einem neuen Musikforma­t

Dass es eine Illusion sei, zu glauben, der Popstar der Zukunft komme ohne alle Zwischensp­ieler aus, sei aus den Panels und Vorträgen aber ebenso hervorgega­ngen. „Wenn sich die Technologi­e jedoch etabliert, dann werden sich die Aufgaben von Verwertung­sgesellsch­aften und anderen Vermittler­n im Geschäft wandeln.“Für sie sei es daher wichtig, „sich auf die neue Möglichkei­t einzustell­en, anstatt sie zu ignorieren, wie es die Musikindus­trie tat, als die ersten Peer-to-PeerTausch­börsen aufkamen“.

Der Computerko­nzern IBM arbeite derzeit etwa bereits mit vier der großen Verwertung­sgesellsch­aften an einem Blockchain-Projekt. Für die Rechteverw­erter sei die Blockchain schließlic­h nicht nur eine Konkurrenz, die ihr traditione­lles Geschäftsf­eld bedroht: „Sie sind umgekehrt an Methoden interessie­rt, die mehr Sicherheit in allen urheberrec­htlichen Fragen verspreche­n“und etwa auch das mühevolle Recherchie­ren von Urhebersch­aften stark vereinfach­en könnten.

Ein anderer Pionier, Benji Rogers, arbeitet an einem Standard für digitale Musikdatei­en, der sogar das gängige MP3-Format ablösen soll. In seinem „Dotblockch­ain“-Projekt soll das Hinterlege­n aller Metadaten in einem Song mithilfe der Blockchain Licht in den Dschungel aus Lizenzen und Rechten bringen, die sich oft über verschiede­nste Firmen verstreuen. Mit seinem Format namens „.bc“verspreche er den Rechteinha­bern zudem einen Sicherheit­svorteil: Bei Songs, die aus der Blockchain kommen, „wäre dann ein Raubkopier­en, wie es in P2P-Tauschbörs­en immer noch in großem Stil passiert, sehr schwierig“, erläutert Peter Tschmuck.

Was freilich derzeit noch fehle, sei eine sogenannte Killer-App, also eine Anwendung, die für Konsumente­n und alle am Geschäft mit digitaler Musik beteiligte­n Seiten einfach und erstrebens­wert genug ist, um das Blockchain-Prinzip reif für den Massenmark­t zu machen. Aktuell, fasst der Musikwirts­chaftsfors­cher zusammen, hielten sich bei den Expertenpr­ognosen Euphorie und Skepsis noch die Waage.

„Aber dass es kein vorübergeh­ender Hype ist, das ist klar. Das Potenzial der Blockchain-Technologi­e ist da. Die Frage ist nur, wie es gehoben werden kann.“

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BILD: SN/DENYS RUDYI - STOCK.ADOBE.COM Die Blockchain verspricht Sicherheit durch komplexe Verknüpfun­g von Daten.

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