Der Mensch will es richten
Der Österreicher Gernot Wagner forscht an der Harvard-Universität an einem umstrittenen Thema: Könnte man die Erde künstlich abkühlen?
ALPBACH. Die Temperatur auf der Erde lässt sich überraschend leicht senken. Ein dramatischer Vulkanausbruch, so wie 1991 der philippinische Pinatubo, der Tonnen von Asche in die Erdatmosphäre katapultiert hat, und schon ist die Temperatur im Jahr darauf um 0,5 Prozent zurückgegangen. Warum also nicht mit moderner Technologie einen ähnlichen Effekt erzeugen und so die weitere Erderwärmung verhindern?
Der Grund, warum Wissenschafter über solche umstrittenen Eingriffe in die natürlichen Abläufe, im Fachjargon Geo-Engineering genannt, nachdenken: die ernüchternde Einsicht, dass der Kohlendioxidgehalt in der Erdatmosphäre extrem hoch bleibt, auch wenn die internationalen Klimaschutzbemühungen greifen. „Wenn die Badewanne fast voll ist und der Wasserhahn wird zurückgedreht, geht sie trotzdem über, nur langsamer“, sagt Gernot Wagner, Ökonom und gemeinsam mit dem Klimaforscher David Keith Direktor des SolarGeo-Engineering-Programms an der amerikanischen HarvardUniversität.
Die Hälfte des Kohlendioxids, das heute in der Atmosphäre sei, werde auch in 500 bis 1000 Jahren noch dort sein, sagt Wagner. Zuletzt sei im Pliozän ähnlich viel Treibhausgas vorhanden gewesen, da habe es allerdings Krokodile in der Arktis gegeben. „Die Erde hat das schon erlebt, aber nicht mit so vielen Menschen und Städten wie heute“, sagt der 37-jährige gebürtige Amstettner, der schon seine Maturaarbeit zum Klimawandel verfasst hat. Venedig, New York oder Schanghai würden verschwinden, sollte der Meeresspiegel um einen Meter steigen. Und er wird steigen. Daher suchen Klimaforscher nach Möglichkeiten, die Temperatur künstlich zu reduzieren. In Harvard zielen die Forscher vor allem auf eine Verringerung der Sonneneinstrahlung durch geringe Mengen Schwefeldioxid, die künstlich in die Atmosphäre gebracht werden. Mitte April wurde das bisher prominenteste Forschungsprojekt dazu gestartet. Es umfasst einen ersten Versuch, mit einem Ballon Sulfat-Aerosole in die Stratosphäre zu bringen. Er könnte bereits 2018 stattfinden. Mengenmäßig gehe es um etwa so viele Teilchen, wie ein Flugzeug in einer Minute ausstoße, sagt Wagner. Zusätzlich untersuchen die Harvard-Forscher die sozialen und volkswirtschaftlichen Folgen solcher technischer Eingriffe. Hier tritt der Ökonom Wagner auf den Plan. Er hat Studien zum Thema analysiert. Die kommen fast unisono zum Schluss, dass solche Methoden die bisherigen Klimaanstrengungen unterlaufen würden: Die Menschen würden lieber auf die Technik setzen, als selbst etwas zu tun. Nur eine Untersuchung (Christine Merk, Berlin) legt nahe, dass die Menschen trotz Geo-Engineering bereit sind, sich mehr für Klimaschutz zu engagieren. Weil sie Angst davor haben oder ihnen die Dramatik der Situation klarer wird, vermutet Wagner. Er hält das für „eine gute Reaktion“, weil Geo-Engineering kein Ersatz für Emissionsreduzierungen sei.
Die düsteren Aussichten hätten mittlerweile den Zugang der Klimaschützer verändert, sagt Wagner, weil auch sie erkennen, dass mehr notwendig ist, um die Situation zu stabilisieren. Zudem bringen klassische Klimaschutzbemühungen das Problem von Trittbrettfahren mit sich, weil es für den Einzelnen bequemer ist, nichts zu tun. Über „Adaptierungen“nachzudenken, wie das in Forscherkreisen heißt, sei kein Tabu mehr. Die US-Wissenschaftsakademie hat die verstärkte Forschung in Geo-Engineering sogar in ihre Strategie aufgenommen. Auch in China und im Vereinigten Königreich wird geforscht.
In einem Beitrag im führenden Wissenschaftsmagazin „Nature“argumentieren die Harvard-Experten, dass keine andere Maßnahme so günstig und effizient zum Klimaschutz beitragen könne wie solares Geo-Engineering. Die CO2-Belastung könnte auf ein Achtel bis ein Viertel der Emissionen des 20. Jahrhunderts gesenkt werden, und das um gerade einmal 0,5 Cent pro Tonne. Wenn es klappt.
Wagner räumt ein, dass noch sehr viel Forschung notwendig ist. Die Technologie macht ihm dabei weniger Sorgen als die Reaktion von Gesellschaft und Politik, etwa die Vorstellung, dass „irgendein Milliardär“zu früh einen Eingriff starten könnte.
Fünf bis sieben Jahre werde es dauern, bis man genug weiß. „Vielleicht ist das Risiko auch zu groß. Aber auch das wäre gut zu wissen“, gibt der Klimaökonom zu denken.
„Vielleicht ist das Risiko auch zu groß.“ Gernot Wagner, Wissenschafter