Wann wird der Steuerwettbewerb unmoralisch?
Beim Versuch, Konzerne fair zu besteuern, versucht die Politik Probleme zu lösen, an deren Entstehung sie selbst mitgewirkt hat.
„Amazon soll in Luxemburg 250 Millionen Euro Steuern nachzahlen.“„EU-Kommission bringt Irland wegen Apple-Milliarden vor Gericht.“Es sind Meldungen wie diese, denen der Beifall der Öffentlichkeit sicher ist. Zur Erinnerung, vor einem Jahr forderte die EU-Behörde Irlands Regierung auf, von Apple 13 Mrd. Euro Steuer nachzufordern. Damals ging ein Stoßseufzer der Erleichterung quer durch Europa. Endlich, so dachte man, geht es den Hightech-Giganten der glitzernden Internetwelt an den Geldbeutel. Irland denkt freilich nicht daran, Apple zur Kasse zu bitten – nun trifft man sich vor dem EuGH.
Steuern einzuheben zählt zu den wichtigsten Hoheitsrechten eines Staates. Die Einkünfte aus Steuern auf Arbeit, Kapital, Konsum und vieles mehr – der Erfindungsreichtum des Fiskus kennt kaum Grenzen – ermöglichen, das Gemeinwesen zu finanzieren, in Infrastruktur zu investieren, Sozialleistungen zu zahlen. Ein Staat kann also ohne Steuern nicht existieren. Insofern ist jeder Finanzminister an hohen Steuereinnahmen interessiert. Man kann es dabei auch übertreiben, oft erweist es sich als schlechtes Geschäft, wenn ein Staat versucht, so viel wie möglich aus den Steuerzahlern herauszupressen. Daher gehen viele sogar den umgekehrten Weg und versuchen, große Konzerne mit niedrigen Steuersätzen anzulocken – und mit attraktiven Vereinbarungen, die die Steuerlast weiter drücken. Irland tut es, Luxemburg tut es, viele andere auch. Das geht so lange gut, wie es dem allgemeinen Empfinden, dass es bei Steuern möglichst gerecht zugehen sollte, nicht völlig zuwiderläuft. Dieser Punkt scheint in der Gewinnbesteuerung internationaler Konzerne überschritten, also versucht die Politik nun, dem Treiben, dem sie zuvor den Boden bereitet hat, Einhalt zu gebieten.
Das beginnt bei virtuellen Gesellschaften, die nirgendwo einen Sitz haben, das gehört abgestellt. Ebenso wie die Möglichkeit, Umsätze aus Produkten und Lizenzen so lange hin- und herzuschieben, bis kaum noch Steuer anfällt. Das hat mit gesundem Steuerwettbewerb nichts zu tun, das geht zu weit. Aber die EU-Kommission hat hier wenig in der Hand, Steuerpolitik ist nationale Kompetenz, sie kann nur den Umweg über versteckte staatliche Beihilfen gehen – und am Ende entscheiden Richter über zutiefst politische Fragen. Noch etwas: Wir werfen Politikern vor, hilflos zuzusehen, wie diese Konzerne die Steuermoral untergraben. Aber wir finden nichts dabei, ein iPhone zu benutzen, über Google zu surfen und bei Amazon zu bestellen. Noch so ein Widerspruch.