„Es geht um das Gefühl für Zahlen“
Drei Chemiker erhielten den Nobelpreis für die Entwicklung einer Maschine, die ein 3D-Bild von Zellabläufen darstellt.
Was bringt ein guter Mathematikunterricht trotzdem, auch wenn das Rechnen die Maschinen übernommen haben? Ein Plädoyer.
Der Nobelpreis für Chemie geht heuer an Jacques Dubochet (75, Schweiz), den Deutschen Joachim Frank (77, derzeit USA) und Richard Henderson (72, Großbritannien). Sie entwickelten die sogenannte Kryo-Elektronenmikroskopie. Sie dient der Forschung zur Beobachtung von bestimmten Molekülen, etwa in der menschlichen Zelle.
Zuletzt wurde die Oberflächenstruktur des Zika-Virus entschlüsselt, sodass man an einem Impfstoff gegen das Virus arbeiten kann. Das Spezialmikroskop werde mit einer Unzahl von Anwendungen die Medizin revolutionieren, heißt es.
Elektronenmikroskope benutzen anstelle von Licht einen Strahl hochenergetischer Elektronen. Sie wurden entwickelt, weil die früheren Lichtmikroskope nur bis zu einem gewissen Grad Dinge vergrößern konnten. Da die Forschung aber immer tiefer in die Materie eindrang, und immer kleinere Formen erkennen wollte, wurden neue Entwicklungen nötig. Eine davon war eben das Elektronenmikroskop.
Es hat aber einen Nachteil: Durch den energiereichen Elektronenstrahl kann die Probe sehr leicht zerstört werden. Um das zu verhindern, dürfen nur geringe Elektronendosen eingesetzt werden, was zu keinem guten Ergebnis führt. Dieses Dilemma lösten die drei Nobelpreisträger mit ihrer neuen Technologie. Bei der Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) wird die Probe mittels eines flüssigen Kühlmittels vor der Untersuchung blitzschnell eingefroren. Dadurch wird die Probe geschützt, aber in ihrer Struktur nicht verändert. Dann können höhere Strahlungsdosen eingesetzt werden. Auf diese Weise können winzige Moleküle mitten in ihrem Leben – und nicht abgestorben, wie gewöhnlich bei einer Entnahme – sichtbar gemacht und beobachtet werden. Die drei Preisträger kennten einander gut, sagte Nobelpreis-Juror Peter Somfai. Als sie von ihrer Auszeichnung erfahren hätten, hätten sie sich gefreut, den Preis miteinander zu teilen. „Sie schienen wie eine fröhliche, nette Familie von Chemikern“, sagte Somfai am Mittwoch.
„Vor ihrer Entwicklung prägten viele leere Stellen die biochemischen Landkarten“, so das Komitee. Die Kryo-Elektronenmikroskopie änderte das jedoch grundlegend. Forscher können nun Zellen einfrieren, während sie lebendig und aktiv sind, und sie analysieren. Damit lerne man Abläufe in der Biochemie zu verstehen und habe die Chance, neue Medikamente zu entwickeln, sagt die Nobel-Jury.
Henderson gelang es 1990, ein scharfes dreidimensionales Bild eines Proteins aufzunehmen. Den Grundstein für diese Technologie legte Frank an der Columbia University in New York, weil er aus unscharfen zweidimensionalen Bildern eines Elektronenmikroskops überhaupt 3D-Aufnahmen herstellen konnte. Das zentrale Verdienst von Dubochet von der Universität Lausanne war es wiederum, Wasser so schnell um eine Probe herum abzukühlen, dass die Probe quasi mitten im Leben eingefroren und untersucht werden konnte.