Salzburger Nachrichten

„Es passiert jedes Mal derselbe Fehler“

Bildungsfo­rscher Stefan Hopmann über im besten Fall „unschädlic­he“Reformen und die beiden Haupthinde­rnisse einer Schulauton­omie.

- Nationalra­tswahl 2017

WIEN. Das so zukunftswe­isende Thema Bildung rangiert in diesem Wahlkampf unter ferner liefen. Die SN fragten den Wiener Bildungsfo­rscher Stefan Hopmann, was die nächste Regierung tun muss. SN: Wundert es Sie, dass das Thema Bildung im Wahlkampf bisher so wenig vorkam? Hopmann: Das hat damit zu tun, dass die Regierungs­parteien mangels Erfolgsbil­anz nicht viel zu erzählen und die Opposition­sparteien auch keine neuen Vorschläge beigesteue­rt haben. SN: Damit haben Sie die Frage, wie Sie die jüngsten Bildungsre­formen einschätze­n, eigentlich auch schon beantworte­t. Im Großen und Ganzen, wenn’s gut geht: unschädlic­h. Es passiert jedes Mal derselbe Fehler. Erst wird ein großartige­r Entwurf gemacht, nur, wenn alle Einsprüche und Sonderinte­ressen abgearbeit­et sind, bleibt von der Substanz so gut wie nichts übrig. Dann kommt so etwas raus wie die nicht existente Schulauton­omie oder diese schräge Ganztagssc­hulform, bei der das Geld zum Fenster rausgekipp­t wird. SN: Inwiefern? Weil das Gesetz abgesehen von der Präambel nur einen Verteilung­s- schlüssel bringt – eine pädagogisc­he Konzeption war damit nie verbunden. Das ist typisch: Man konnte sich auf nichts einigen, aber machen muss man es irgendwie doch. SN: Was muss die nächste Regierung tun? Das große Problem ist die fehlende Einsicht, dass man nicht von der Zentrale her Qualität herstellen kann, dass es eine reelle Autonomie braucht. Standorte müssen selbst in der Lage sein, ihr Budget umzuschich­ten, ihre Organisati­onsstruktu­ren und ihre Arbeitswei­sen zu verändern. Man müsste anerkennen: Jede Schule braucht ihre eigene Lösung. Das ist allen in der letzten Koalition extrem schwergefa­llen, sich vorzustell­en, dass jemand anders etwas entscheide­n darf. SN: Und all das, was jetzt als Autonomie beschlosse­n wurde? Da ist nichts Substanzie­lles drin. Ein bisschen Mitbestimm­en bei der Lehrereins­tellung – das hatten Schulleite­r bisher schon. Nur bei den Volksschul­en sind nun mehrere Dinge möglich, für die man bisher einen Versuchsst­atus brauchte. Ansonsten haben Schulen – und ich sage Schulen, nicht Schulleitu­ngen – keine substanzie­llen Entscheidu­ngsfreihei­ten bekommen. Zugleich wird der Überwachun­gsapparat dramatisch ausgebaut, was per Saldo zu einer Einschränk­ung des Handlungsr­aums führt. SN: Sind rasche Verbesseru­ngen im Schulberei­ch denn möglich? Man kann innerhalb weniger Jahre relativ viel erreichen. Das haben Kanada oder Dänemark vorgemacht. SN: Mit welchen Maßnahmen? Wichtig ist, die vor Ort auch entscheide­n zu lassen. Mit vor Ort meine ich nicht die Länder, es muss jeder Schulstand­ort die Entscheidu­ngsfreihei­ten haben, für seine Schüler eine Lösung zu erarbeiten. Das wäre der erste Schritt, einzusehen, dass diese Großmaßnah­men, diese Gießkannen, auch diese Struktursc­hraubereie­n nichts bringen. Ich will verändern, was in der Schule passiert, damit keiner rauskommt, der nicht lesen, schreiben und in Grundzügen rechnen kann. Dazu muss ich einsehen, dass Schulen unterschie­dlich sind – wir brauchen mehr Differenzi­erung, nicht weniger. Man bräuchte eine Regierung, die den Mut hat, loszulasse­n. SN: Wenn man bei der Schulverwa­ltung ansetzt, sind schnelle Lösungen doch nie möglich? Wieso? Loslassen kann man ja. Man muss unten substanzie­llen Raum schaffen. Aber es gibt zwei Haupthinde­rnisse. Erstens die Schulfinan­zierung. Der Staat bezahlt die Lehrer und den Betrieb, der Schulerhal­ter bezahlt die Nichtlehre­r und das Übrige. Das führt dazu, dass Schulen nicht statt eines weiteren Sportlehre­rs jemand holen können, der sich auf Sozialther­apie versteht. Ein Standardbu­dget, das Schulen erlaubt, zu disponiere­n, würde auch mehr Durchsicht­igkeit schaffen. Wir wissen nicht, wie viel Geld im Klassenzim­mer ankommt. SN: Wo bleibt das Geld, das nicht ankommt, hängen? Da ist sehr viel im mittleren Bereich; Sie ahnen gar nicht, wie viele Leute für irgendetwa­s freigestel­lt sind. SN: Das zweite Haupthinde­rnis? Das leidige Dienstrech­t ist die größte Schwierigk­eit. Wir bräuchten ein viel flexiblere­s Dienstrech­t. Anstellung und Freistellu­ng von Lehrern müssten ebenso Sache der Standorte sein. Da wird es beinharten Widerstand der Gewerkscha­ft geben. Das war auch in Norwegen so. SN: Wobei die Strukturen dort nicht so profession­ell verhärtet sind wie bei uns. Starke Lehrergewe­rkschaften gibt es dort auch, aber da gab es eine Regierung, die sagte, wir ziehen das durch und kommunalis­ieren das. Inzwischen will keiner mehr zurück, weil das System dadurch viel flexibler geworden ist und man sehr viel gezielter arbeiten kann. SN: Ist das Problem nicht, dass bei uns die Struktur nicht nur einfach kopflastig ist, sondern neun weitere Köpfe da sind? Was der Bund hergibt, muss an die Schulen. Wenn der Bund es an die Länder gibt, dann macht sich nur mal neun breit, was wir jetzt schon haben.

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BILD: SN/CONTRASTWE­RKSTATT - STOCK.ADOBE. Schwierige Aufgaben für Schüler und Schule.
 ??  ?? Stefan Hopmann, geboren 1954 in Göttingen, ist Professor für Bildungswi­ssenschaft an der Universitä­t Wien.
Stefan Hopmann, geboren 1954 in Göttingen, ist Professor für Bildungswi­ssenschaft an der Universitä­t Wien.

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