Eilig Richtung Unabhängigkeit
Es sei nur „eine Frage von Tagen“, bis Katalonien seine Unabhängigkeit erkläre, kündigt Separatistenchef Carles Puigdemont an. Die Entmachtung seiner Regierung könnte folgen.
Ganz Spanien saß gerade beim späten Abendessen, als König Felipe die bisher wichtigste Ansprache seiner dreijährigen Amtszeit hielt. Darin beschuldigte er Dienstagabend die katalanische Regionalregierung, eine Rebellion gegen Spanien anzuführen, „um auf illegale Weise die Unabhängigkeit zu erklären“. Und noch gewichtiger: Felipe forderte Regierung, Parlament und Justiz auf, „die verfassungsmäßige Ordnung“und die „Gültigkeit des Rechtsstaats“in Katalonien sicherzustellen.
Wie, das sagte der König zwar nicht. Aber es gibt wenig Zweifel, dass Felipes Rede die indirekte Lizenz dafür war, Spaniens schwerste Gesetzeskeule zu aktivieren: die zwangsweise Entmachtung der katalanischen Regierung.
Artikel 155 der spanischen Verfassung erlaubt diesen schweren Eingriff in die regionale Autonomie, wenn die dortige Führung fortgesetzt gegen Gesetze sowie die Verfassung verstößt und „schwerwiegend das allgemeine Wohl Spaniens verletzt“. Damit könnte Spaniens Regierung mit Zustimmung des Senats die Region befristet unter ihre Kontrolle stellen. Und möglicherweise das Regionalparlament auflösen, auch wenn das unter Verfassungsrechtlern umstritten ist.
Der in Artikel 155 beschriebene Ernstfall wird wohl eintreten, wenn Kataloniens Separatisten die einseitige Unabhängigkeitserklärung verabschieden. Dies werde, kündigte der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont in einem Interview mit dem britischen Nachrichtensender BBC an, nur noch „eine Frage von Tagen“sein.
Möglicherweise ist es schon am kommenden Montag so weit, wenn Puigdemont vor dem katalanischen Parlament erscheinen will, „um die Ergebnisse des Referendums vom 1. Oktober zu bewerten“.
In dem Referendum, das von Spaniens Verfassungsgericht verboten worden war, hatten nach dem vorläufigen Ergebnis 90 Prozent der Wähler für die Unabhängigkeit gestimmt, 42 Prozent der Wahlberechtigten hatten sich beteiligt.
Das Abstimmungsergebnis ist mehr als fragwürdig und es wird wegen der irregulären Wahlbedingungen weder von Spanien noch von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt. Zumal es wohl auch nicht dem wahren Meinungsbild in der nordostspanischen Region entspricht, das sich realistischer in den aktuellen Machtverhältnissen des katalanischen Parlaments in Barcelona spiegelt: Dort regieren die Separatisten Puigdemonts mit einer knappen Mehrheit, die vor zwei Jahren mit nur 47,8 Prozent der Stimmen errungen worden ist.
Auch durch Zwangsmaßnahmen der spanischen Regierung will sich Kataloniens Separatistenchef nicht auf seinem Weg beirren lassen. Die drohende Suspendierung der katalanischen Autonomie oder auch eine zunehmend wahrscheinliche Anklage der Separatistenregierung bezeichnete er am Mittwoch als „definitiven Irrtum“. Denn der wachsende Druck aus Madrid mache die Unabhängigkeitsbewegung nur noch stärker.
Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy hat die Rede von König Felipe abgesegnet. Mittwochabend hieß es in Madrid, die spanische Regierung lehne eine Vermittlung im Streit um die Unabhängigkeit Kataloniens ab. „Die Regierung wird über nichts Illegales verhandeln und keine Erpressung hinnehmen“, so das Büro von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Gespräche werde es erst geben, wenn der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont die Unabhängigkeitsbestrebungen aufgebe.