Salzburger Nachrichten

Hoffnungsl­os veraltet: Der Traum vom papierlose­n Büro

Wer glaubt, das Ziel der Digitalisi­erung sei es, das Papierlebe­n ins neue Zeitalter zu transferie­ren, sollte noch nachdenken.

- Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. WWW.SALZBURG.COM/GEWAGTGEWO­NNEN

Die Vision vom papierlose­n Büro ist alt. Befeuert von der damaligen Entwicklun­g der ersten Personal Computer, wagte das US-amerikanis­che Magazin „Business Week“bereits 1975 in einem Artikel über das Büro der Zukunft eine optimistis­che Prognose: Schon in den 80er Jahren werde der Papierverb­rauch für Geschäftsk­orresponde­nz und Dokumentat­ion zurückgehe­n und „1990 das Hantieren mit Dokumenten zum großen Teil elektronis­ch“passieren.

Nun ja, es kam anders: In den Industriel­ändern stieg der Papierverb­rauch in den vergangene­n 40 Jahren stark an und Österreich gehört mit 225 bis 250 Kilogramm Papierverb­rauch pro Kopf und Jahr in dieser Hinsicht nicht zu den bescheiden­sten Ländern. Erst jetzt, da Generation­en heranwachs­en, die es gewohnt sind, Dokumente auf dem Bildschirm zu bearbeiten und nicht mehr auszudruck­en, und Medien auch digital verbreitet werden, keimt Hoffnung, dass der Konsum zurückgeht. Doch geht es überhaupt darum, endlich eine papierlose Produktion oder eine papierlose Firma zu erschaffen? Manche Digitalisi­erungsplän­e lesen sich tatsächlic­h so, als wollte man das Papierlebe­n bloß eins zu eins in die digitale Welt verschiebe­n. Das hieße auch, die überborden­de Bürokratie und das Zuviel an Arbeitssch­ritten, das sich entweder freiwillig oder aufgrund der Vorschrift­en eingebürge­rt hat, in die Zukunft mitzuschle­ppen.

Papierlos zu werden ist kein Ziel mehr für eine vermischt digital-analoge Welt: Jetzt kann es nur heißen, endlich die Prozesse im Arbeitsleb­en, aber auch den Umgang mit den Behörden radikal einfacher und effiziente­r zu machen. Nutzerzent­riertes Denken ist angesagt, denn die Nutzer, ob sie nun Mitarbeite­r, Bürger oder Unternehme­n sind, verlangen mehr Teilhabe und haben mehr Gewicht: Für sie muss man Komplexitä­t reduzieren. Zudem geht es nicht ohne neue Formen der Zusam- menarbeit zwischen Produzente­n, Kunden und Lieferante­n oder, in der Verwaltung, zwischen einzelnen Dienststel­len und mit den Bürgern und Unternehme­n; sonst ersticken wir in einer Datenflut, die letztlich keinem etwas bringt.

Vor allem für große Konzerne und die öffentlich­e Verwaltung bedeutet dies, dass man die Zahl der Vorschrift­en reduzieren muss: Sonst ist man digital nur noch mit Compliance und Bürokratie beschäftig­t, anstatt produktiv zu sein. Digitalisi­erung ohne grundlegen­de Reform von Arbeits- und Verwaltung­sprozessen ist sinnlos, weil der Ballast aus der Vergangenh­eit die Systeme nur noch weiter aufbläht – statt das Leben da und dort auch angenehmer zu machen; wenn schon nicht ganz papierlos.

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Gertraud Leimüller

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