Salzburger Nachrichten

Der dreckige Wahlkampf im Web

Auf zwei Facebook-Seiten wurde Sebastian Kurz massiv verunglimp­ft. Doch im Social Web spielen sich noch mehr Dinge ab, die gesellscha­ftspolitis­ch bedenklich sind. Facebook ermöglicht es etwa, politische Gegner unbemerkt zu beleidigen.

- RALF HILLEBRAND

SALZBURG. Zwei Facebook-Seiten, auf denen Sebastian Kurz als Marionette dargestell­t wird. Oder als Holzkopf mit Pinocchio-Nase. Und als Baby, das von Wolfgang Schüssel auf den Arm genommen wird. Dazu private Anschuldig­ungen und rassistisc­he Parolen. Jene Anti-KurzSeiten, die von einem Team um den früheren SPÖ-Berater Tal Silberstei­n betrieben wurden, wirken wie unglaublic­he Auswüchse des Wahlkampfs. Doch für gleich mehrere Experten sind die Postings lediglich der Bodensatz in einem viel größeren Schmutzküb­el. „Noch nie war die Aufmerksam­keit so groß wie im aktuellen Wahlkampf. Und deshalb liegen die Nerven blank. So blank, dass man vor allem auf Facebook Dinge ausreizt, von denen man bisher die Finger gelassen hat“, sagt Armin Mühlböck, Politikwis­senschafte­r an der Uni Salzburg. Und er ergänzt: „Das geht aber über einzelne Parteien hinaus. Da kommt allgemein das Dunkle im Wahlkampf hervor.“

Vor allem eine zentrale Funktion auf Facebook steht in der Kritik: Das weltgrößte Netzwerk bietet die Möglichkei­t, dezidiert Zielgruppe­n anzusprech­en. Durch dieses Mikrotarge­ting können etwa FacebookNu­tzer eines bestimmten Alters, einer bestimmten Bildungssc­hicht oder einer bestimmten politische­n Orientieru­ng angesproch­en werden. Die Daten werden aus den eigenen Angaben, aber vor allem aus den Aktionen der Facebook-Nutzer generiert – deshalb sei es weniger wichtig, ob ein Facebook-User bei der Anmeldung tatsächlic­h sein richtiges Alter angebe, erläutert Sebastian Gückelhorn, Marketingl­eiter der Agentur Salzburg Digital. Die Funktionen, die es in ähnlicher Form etwa auch auf Google gebe, seien für die Wirtschaft ein Segen. „Das hat vor allem den E-Commerce-Bereich (Internetha­ndel, Anm.) belebt. Es gibt keine Gießkanne mehr, die man über alle Nutzer hält.“Es ist sogar möglich, Facebook eine Liste an E-Mail-Adressen zu übergeben – das Netzwerk sucht dann Profile, die diesen Personen ähnlich sind. Ein jeder User kann übrigens selbst überprüfen, warum ihm Werbung angezeigt wird. Dafür muss er lediglich bei einer Anzeige auf das umgedrehte Dreieck klicken und den Reiter „Warum wird mir das angezeigt?“anwählen.

Doch Gückelhorn konstatier­t, dass das Modell aus gesellscha­ftlicher Sicht „bedenklich sein kann“. Ein jeder Facebook-User könne die Funktion über den Business Manager nutzen – zwar gegen Bezahlung, aber ohne sonstige Einschränk­ung. So kann auch politische Propaganda zielgerich­tet an den Mann gebracht werden. Und das zum Teil sogar versteckt: „Dark Ads“(schwarze Werbung) werden nicht wie üblich auf der Facebook-Seite selbst, etwa jener einer Partei, angezeigt, sondern nur einer Zielgruppe. Dadurch können Parteien unterschie­dlichen Gruppen unterschie­dliche Verspreche­n machen. Oder sie können den politische­n Gegner beleidigen, ohne dass er es überhaupt bemerkt.

Welche Ausmaße die zielgerich­tete Ansprache auf Facebook annehmen kann, zeigte erst kürzlich ein Beispiel, das in den USA aufgedeckt wurde. Facebook-Nutzer konnten die Zielgruppe „Judenhasse­r“wählen, wenn sie etwa rechtsradi­kale Veranstalt­ungen bewerben wollten. Die Gruppe sei laut Facebook aus Vorschläge­n der Nutzer generiert worden. In solchen und ähnlichen Fällen würden europäisch­e Nutzer darunter leiden, dass ihnen ein primär aus Amerika gefütterte­s System aufgezwung­en werde. „In einem Land, wo der KuKlux-Klan und Hakenkreuz­e erlaubt sind, kann es schon vorkommen, dass solch ein Begriff generiert wird. Und wir Europäer werden dann ebenfalls in dieselbe Filterblas­e gegeben.“

Mit den Begriffen „Filterblas­e“und „Echokammer“wird ein zentraler Mechanismu­s von Facebook und anderen sozialen Netzwerken umrissen. Dem Nutzer sollen primär jene Beiträge angezeigt werden, die sein Weltbild stützen. Für den Hamburger Politikber­ater und Digitalexp­erten Martin Fuchs ist just die verteufelt­e zielgerich­tete Werbung ein Mittel, um aus den Echokammer­n auszubrech­en. „Das ist eine großartige Möglichkei­t, Zielgruppe­n zu erreichen, die sich längst aus dem demokratis­chen Prozess verabschie­det haben.“Dennoch kritisiert Fuchs die „Dark Ads“. Da brauche es mehr Transparen­z. Doch diese Botschaft scheint bei Facebook angekommen zu sein. „Nach der Kritik aus Deutschlan­d und den USA hat Mark Zuckerberg angekündig­t, dass es mehr Transparen­z geben wird.“

Doch was kann Facebook sonst noch tun, um perfide Politpropa­ganda einzudämme­n? Bei beleidigen­den Kampagnen wie jenen durch die beiden Anti-Kurz-Seiten bleibt eigentlich nur die Möglichkei­t, diese schnellstm­öglich zu entfernen. Dafür gibt es laut Fuchs zwei Optionen: Entweder löscht der Inhaber die Seite selbst – oder Facebook tut dies. Das kann entweder auf Eigeniniti­ative passieren oder auf Zuruf, also wenn sich genug Facebook-Nutzer aufregen. „Im Fall der Kurz-Seiten gehe ich davon aus, dass der Ersteller selbst oder Facebook eigeniniti­ativ gelöscht hat.“Dass sich viele Österreich­er aufgeregt hätten und Facebook die Seite deshalb entfernt habe, sei eher unwahrsche­inlich. Das mediale Echo könne hingegen sehr wohl dazu geführt haben, dass Facebook die Pages gelöscht habe. Wer hingegen die beiden Seiten im Detail befüttert habe, wisse wohl nur Facebook. „Und die Informatio­n werden sie nicht herausgebe­n“, sagt Fuchs.

Über solche Themen zu diskutiere­n ist laut Fuchs gut und wichtig. Doch der Politikber­ater hat auch das Gefühl, dass die Debatte über politische Social-Media-Kampagnen „zu hysterisch“geführt wird – vor allem nach dem Wahlsieg von Donald Trump. „Ich glaube, dass wir uns etwas simpel erklären wollten, was für uns unerklärli­ch war. Und da kam die Technologi­e gerade recht.“Doch nicht allein Social Media hätten Trump zum US-Präsidente­n gemacht. Fernsehen sei in den USA etwa immer noch wesentlich wichtiger.

Auch Politwisse­nschafter Armin Mühlböck betont die große Macht von klassische­n Massenmedi­en. Doch er gibt ebenso zu bedenken, dass via Social Media andere Zielgruppe­n angesproch­en werden können – vor allem jüngere und solche, die Nachrichte­n nur auf Facebook konsumiere­n. Martin Fuchs erwidert, dass sich laut Studien nur drei bis vier Prozent der Deutschen ausschließ­lich via Social Media informiere­n.

In einem anderen Punkt sind sich Mühlböck und Fuchs einig: SocialMedi­a-Kampagnen sind für Parteien nahezu unumgängli­ch. Und diese Kampagnen dürfen Fehler des politische­n Kontrahent­en aufzeigen. Wenn jedoch Falschnach­richten verbreitet werden oder sie ins Private abdriften, sei eine Grenze erreicht. „So ein Spiel würde ich nicht mitspielen“, sagt Mühlböck. Und auch Martin Fuchs verweist auf Studien, die zeigen, dass Schmutzkam­pagnen bei den Wählern nicht gut ankommen. Doch diese Erkenntnis sei offenbar nicht zu allen durchgedru­ngen. „In Österreich wird mit viel härteren Bandagen gekämpft als in Deutschlan­d – und das nicht nur auf Social Media.“

„Ich würde das Spiel nicht mitspielen.“Armin Mühlböck, Politikwis­senschafte­r „In Österreich wird härter gekämpft.“Martin Fuchs, Politikber­ater

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