Warum Wahlärzte nicht besser sind
Als ein seit 1981 tätiger Kassenarzt mit allen Kassenverträgen schließe ich mich dem Protest meines Kollegen Dr. Christoph Fürthauer bezüglich der Behauptung eines anonymen Schreibers, dass Patienten von Kassenärzten im Vergleich zu Wahlärzten eine höhere Zahl an Fehldiagnosen erhalten, vollinhaltlich an.
Mir ist keinerlei wissenschaftliche Studie aus Österreich bekannt, durch die eine solche provokante und Patientinnen und Patienten verunsichernde Behauptung ableitbar wäre.
Abgesehen davon müssen wir Kassenärzte alle Patienten und Patienten unterschiedlichsten sozioökonomischen Status mit oft unspezifischen Symptomen behandeln, bei denen eine Diagnosestellung im streng wissenschaftlichen Sinn nicht möglich ist.
Im allgemeinmedizinischen Bereich wird deshalb in etwa 90 Prozent klassifiziert und eben keine Diagnose gestellt – nicht zuletzt aus Gründen der Patientensicherheit –, um eine falsche und vorzeitige diagnostische Etikettierung zu vermeiden. Ein Cervicalsyndrom (steifes und schmerzhaftes Genick) kann scheinbar sicher „diagnostiziert“werden, obwohl auch eine Blutung in der hinteren Schädelgrube eine ähnliche Symptomatik machen kann. Der Zwang, unbedingt eine Diagnose stellen zu müssen, kann somit auch gefährlich sein.
Das dahinterstehende berufstheoretische Konzept, welches auf der Lehre des großen allgemeinmedizinischen österreichischen Forschers Prof. Dr. R. N. Braun basiert, erklärt, warum das „Hinraten“zu Diagnosen eine falsche Sicherheit vortäuschen kann. Es sollte besser von einer SymptomKlassifikation, Symptomgruppen-Klassifikation und dem Bild einer Krankheits-Klassifikation gesprochen werden.
Gern lade ich meinen anonymen wahlärztlich tätigen Kollegen zu einem Privatissimum ein, um ihn tiefer in dieses vor allem die Patientensicherheit betreffende wichtige Thema einzuführen. MR Dr. Gustav Kamenski, Arzt für Allgemeinmedizin; VizePräsident NÖGAM; Univ.-Lektor, Abteilung Allgemeinmedizin, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien; Leiter des Karl-Landsteiner-Instituts für Systematik in der Allgemeinmedizin; 2261 Angern