Separatisten verschwinden nicht durch Wegschauen
Der reflexhafte Verweis auf innere Angelegenheiten bei jedem UnabhängigkeitsKonflikt ist einer modernen EU nicht würdig.
Interessierte Europäer können sich derzeit nur wundern. In Spanien beschließt die Region Katalonien, klar gegen die Verfassung des Landes, ein Referendum über ihre Unabhängigkeit abzuhalten – und keiner tut etwas. Außer Madrid natürlich. Die spanische Regierung droht, verbietet und greift durch, weil die Katalanen diesmal nicht nachgeben. Vermummte Polizisten zerren blutüberströmte Menschen mit Gewalt aus Wahllokalen. Bilder, wie sie EU-Bürger sonst aus der Türkei oder Venezuela kennen.
Am Montag rief die EU-Kommission – spät, aber doch – auf, „rasch von der Konfrontation zum Dialog zu wechseln“. Das EU-Parlament hat das Thema diese Woche – endlich – diskutiert.
Wer sich fragt, warum die EU, die sonst immer als Erste friedliche Lösungen einfordert, gar so ruhig ist (was vor allem einem Vollblutpolitiker wie JeanClaude Juncker schwerfallen dürfte), braucht sich nur die EU-Verträge anzusehen. Rein rechtlich muss die EU-Kommission die Verfassung und die Territorien der Mitgliedsstaaten respektieren. Jede Silbe, die als Ermunterung für Separatisten interpretiert werden könnte, wird daher in Brüssel vermieden. Mit der Klarstellung, dass, wer sich abspaltet, raus aus der EU ist und nicht so schnell wieder reinkommt. Das galt für Schottland 2014 und gilt jetzt für Katalonien.
Falsch ist die Zurückhaltung trotzdem. Vorzuwerfen ist sie weniger den Brüsseler EU-Spitzen. Warum war Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, am besten gemeinsam mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, nicht längst in Madrid? Wo bleibt eine Initiative Italiens oder Belgiens, die sich mit Autonomie und Föderalismus gut auskennen? Beim Gipfel in Tallinn am vorigen Freitag – zwei Tage vor dem Referendum der Katalanen – hat Spaniens Premier Mariano Rajoy abgesagt. Das Abendessen wäre eine gute Gelegenheit gewesen, über solche Krisen zu reden. Vielleicht telefonieren seine Kollegen ja wenigstens mit ihm.
Der reflexhafte Verweis bei jedem Unabhängigkeits-Referendum in der EU auf die „innere Angelegenheit“eines Mitgliedsstaates ist einer modernen EU nicht würdig. Auch wenn es rechtlich korrekt und politisch verständlich ist, weil sich andere aufmüpfige Regionen in Europa von Katalonien inspirieren lassen könnten. Das will kein Regierungschef befeuern und dann noch auf der internationalen Bühne diskutieren. Vom Aussitzen, Wegschauen, Schweigen verschwindet ein Problem jedoch nicht, schon gar nicht, wenn es um Separatismus geht.