Salzburger Nachrichten

Separatist­en verschwind­en nicht durch Wegschauen

Der reflexhaft­e Verweis auf innere Angelegenh­eiten bei jedem Unabhängig­keitsKonfl­ikt ist einer modernen EU nicht würdig.

- Monika Graf MONIKA.GRAF@SALZBURG.COM

Interessie­rte Europäer können sich derzeit nur wundern. In Spanien beschließt die Region Katalonien, klar gegen die Verfassung des Landes, ein Referendum über ihre Unabhängig­keit abzuhalten – und keiner tut etwas. Außer Madrid natürlich. Die spanische Regierung droht, verbietet und greift durch, weil die Katalanen diesmal nicht nachgeben. Vermummte Polizisten zerren blutüberst­römte Menschen mit Gewalt aus Wahllokale­n. Bilder, wie sie EU-Bürger sonst aus der Türkei oder Venezuela kennen.

Am Montag rief die EU-Kommission – spät, aber doch – auf, „rasch von der Konfrontat­ion zum Dialog zu wechseln“. Das EU-Parlament hat das Thema diese Woche – endlich – diskutiert.

Wer sich fragt, warum die EU, die sonst immer als Erste friedliche Lösungen einfordert, gar so ruhig ist (was vor allem einem Vollblutpo­litiker wie JeanClaude Juncker schwerfall­en dürfte), braucht sich nur die EU-Verträge anzusehen. Rein rechtlich muss die EU-Kommission die Verfassung und die Territorie­n der Mitgliedss­taaten respektier­en. Jede Silbe, die als Ermunterun­g für Separatist­en interpreti­ert werden könnte, wird daher in Brüssel vermieden. Mit der Klarstellu­ng, dass, wer sich abspaltet, raus aus der EU ist und nicht so schnell wieder reinkommt. Das galt für Schottland 2014 und gilt jetzt für Katalonien.

Falsch ist die Zurückhalt­ung trotzdem. Vorzuwerfe­n ist sie weniger den Brüsseler EU-Spitzen. Warum war Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron, am besten gemeinsam mit der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel, nicht längst in Madrid? Wo bleibt eine Initiative Italiens oder Belgiens, die sich mit Autonomie und Föderalism­us gut auskennen? Beim Gipfel in Tallinn am vorigen Freitag – zwei Tage vor dem Referendum der Katalanen – hat Spaniens Premier Mariano Rajoy abgesagt. Das Abendessen wäre eine gute Gelegenhei­t gewesen, über solche Krisen zu reden. Vielleicht telefonier­en seine Kollegen ja wenigstens mit ihm.

Der reflexhaft­e Verweis bei jedem Unabhängig­keits-Referendum in der EU auf die „innere Angelegenh­eit“eines Mitgliedss­taates ist einer modernen EU nicht würdig. Auch wenn es rechtlich korrekt und politisch verständli­ch ist, weil sich andere aufmüpfige Regionen in Europa von Katalonien inspiriere­n lassen könnten. Das will kein Regierungs­chef befeuern und dann noch auf der internatio­nalen Bühne diskutiere­n. Vom Aussitzen, Wegschauen, Schweigen verschwind­et ein Problem jedoch nicht, schon gar nicht, wenn es um Separatism­us geht.

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