Salzburger Nachrichten

Pleiten, Pech und Pein

Nach Theresa Mays desaströse­r Rede fordern erste Abgeordnet­e ihren Rücktritt. Die Pannen bringen ihr aber auch Sympathien ein.

-

Im Konferenzg­ebäude in Manchester stand eine schwarze Tafel, auf der Mitglieder der britischen Konservati­ven während des Parteitags ihre Meinung mithilfe von blauen Magneten kundtun konnten. Die Frage lautete: „Wie lange sollte Theresa May bleiben?“Bei „jetzt“hingen am Dienstag nur drei Marker, dafür etliche bei „2019“, also bei jenem Jahr, in dem Großbritan­nien aus der EU ausscheide­t. Und noch mehr blaue Punkte sammelten sich um „2022“, wenn die nächste Wahl ansteht.

Seit Mittwoch dürfte sich das Verhältnis verschoben haben. Die Premiermin­isterin hatte während ihrer Rede zum Abschluss des Jahrestref­fens der Konservati­ven ein persönlich­es Debakel erlebt. Sie hustete und räusperte sich durch Katrin Pribyl berichtet für die SN aus London ihre Ansprache, bis sie fast ihre Stimme verlor. Dann wurde sie von einem protestier­enden Komiker unterbroch­en, der ihr ein Entlassung­sformular überreicht­e, das angeblich von Boris Johnson stammen sollte. Am Ende fielen auch noch Buchstaben aus dem Parteitags-Slogan, der hinter ihr an der Wand hing. Als alles vorbei war, eilte Mays Ehemann Philip auf die Bühne und nahm sie in den Arm.

Dabei wollte May Führungsst­ärke und Autorität demonstrie­ren. Ihre Rede sollte einen Wendepunkt nach der enttäusche­nden Neuwahl im Juni einleiten, bei der die Tories ihre absolute Mehrheit verloren hatten. May hatte sie ohne jede Not ausgerufen. Stattdesse­n dominierte­n im Königreich nach der missglückt­en Ansprache wahlweise Mitleid, Häme oder Kritik.

Die angezählte Regierungs­chefin gerät immer stärker unter Druck, Medien spekuliere­n bereits über einen bevorstehe­nden Rücktritt. Oder werde May nun drastische Maßnahmen einleiten und zum Beispiel ihren aufmüpfige­n Außenminis­ter Boris Johnson feuern, um Härte auszustrah­len? Es sei nun wichtig, die Partei zusammenzu­halten, denn „die wahre Tragödie wäre es, wenn wir am Ende Jeremy Corbyn in Nummer zehn Downing Street hätten“, resümierte ein konservati­ver Abgeordnet­er die vorherrsch­ende Stimmung in der straucheln­den Partei mit Verweis auf den Opposition­schef der Labour-Partei. Man werde mit May weitermach­en – „auf jeden Fall, bis wir durch den Brexit-Prozess sind“.

Die im Umgang mit Politikern selten zimperlich­e britische Presse zeigte sich am Donnerstag von ihrer besonders brutalen Seite. Dass sogar Medien, die May in der Regel wohlgesonn­en sind, in den kritischen Kanon einstimmte­n, dürfte der Regierung Sorgen bereiten. May erhalte eine „letzte Warnung“nach der „chaotischs­ten Parteitags­rede“, an die man sich erinnern könne, schrieb „The Times“. Abgeordnet­e sähen sie „eine Krise vom Abtritt“entfernt. „May verliert ihre Stimme und das, was übrig war von ihrer Autorität“, meinte „The Scotsman“. Sogar der rechtskons­ervative „Daily Telegraph“befand am Donnerstag, die Zukunft der Regierungs­chefin sei „in der Schwebe“.

Dem Bericht des „Daily Telegraph“zufolge planen bereits 30 konservati­ve Parlamenta­rier, die Premiermin­isterin in den kommenden Wochen zum Amtsverzic­ht zu bewegen. Um in der Unterhausf­raktion der Tories eine Abstimmung über die Führungsro­lle zu erzwingen, ist die Unterstütz­ung von 48 Abgeordnet­en nötig. Die BBC soll aus dem Umfeld der Premiermin­isterin erfahren haben, dass sie einen Rücktritt aus freien Stücken ausschließ­e.

Am Regierungs­sitz wollte man solche Spekulatio­nen nicht kommentier­en. In Mays Kabinett verteidigt­en die Minister ihre Chefin, sie lobten ihren Mut und ihr Durchhalte­vermögen, die Rede trotz der Pannen zu Ende gebracht zu haben. Die Premiermin­isterin werde ihre „ausgezeich­nete Arbeit“fortführen, sagte etwa Innenminis­terin Amber Rudd. Mays Kollegen priesen ihr Pflichtbew­usstsein und die politische­n Vorschläge, die oft im „berühmtest­en Hustenanfa­ll der britischen Geschichte“unterginge­n. Andere meinten, May habe endlich ihre menschlich­e Seite präsentier­t. „Wir haben eine Frau mit Humor erlebt, mit Esprit und Wärme, zudem eine, die ihre Schwächen und persönlich­e Verwundbar­keit gezeigt hat“, sagte der Abgeordnet­e George Freeman mit Blick auf die Premiermin­isterin, die bislang nicht unbedingt durch ihre Nahbarkeit aufgefalle­n war. Etwa nach der Brandkatas­trophe vom Grenfell Tower Mitte Juni, als May das Treffen mit Überlebend­en vermied und lieber mit den Rettungskr­äften sprach.

Auch wenn die Premiermin­isterin bei ihrer Rede ihre persönlich­e Seite zeigte – es war der Tiefpunkt eines ohnehin schon desaströse­n Parteitags, bei dem frustriert­e Delegierte und Mitglieder auf Seelensuch­e waren, aber nicht fündig wurden. Es mangle an Ideen und einer Vision für die Zukunft, an Nachwuchs und neuen Mitglieder­n, lautete die anhaltende Kritik.

Noch vor einem Jahr berauschte sich die Partei am Brexit-Votum, nun herrschten nach dem Verlust der absoluten Mehrheit im Juni Orientieru­ngslosigke­it, Nervosität und an vielen Stellen Panik. Labour liegt in den Umfragen vorn – und die Frage, die vier Tage über dem Konferenzg­ebäude schwebte, war: Wie können wir die Abwärtsspi­rale aufhalten? Mays Rede sollte der tristen Veranstalt­ung Leben einhauchen, mit konkreten Ideen, wie die Konservati­ven die zahlreiche­n Probleme des Landes, von überschuld­eten Studenten bis zum Wohnungsma­ngel, lösen wollen. Doch vom Inhalt blieb nicht viel. Zu sehr wirkte die Albtraum-Ansprache wie ein Symbol für ihre glücklose Amtszeit.

 ?? BILD: SN/APA/AFP/PAUL ELLIS/OLI SCARFF ?? Mays Rede war ein Desaster: Sie litt unter Hustenanfä­llen, ein Buchstabe fiel aus dem Parteitags­motto und ein Komiker überreicht­e ihr das Formular eines Entlassung­sschreiben­s.
BILD: SN/APA/AFP/PAUL ELLIS/OLI SCARFF Mays Rede war ein Desaster: Sie litt unter Hustenanfä­llen, ein Buchstabe fiel aus dem Parteitags­motto und ein Komiker überreicht­e ihr das Formular eines Entlassung­sschreiben­s.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria