Das Leben dreht sich im Kreis
Sergej Prokofjews sehr selten gespielte Dostojewski-Oper „Der Spieler“hatte in der Wiener Staatsoper Premiere – musikalisch ein Ereignis, szenisch mit Ausflügen ins Surreale.
Die Gier ist ein Hund
Schon Fjodor Dostojewski hatte in aller Eile seinen Roman „Der Spieler“verfasst, ja sogar diktiert, er musste seinen Vorschuss termingerecht hereinarbeiten. Der junge Komponist Sergej Prokofjew nahm 1915, also fünfzig Jahre später, den Roman als Libretto für seine Oper „Der Spieler“und arbeitete seinerseits wie wild. Eine köstliche Anekdote von Prokofjew gibt es dazu: „Einmal kam meine Mutter ins Zimmer, als ich am ,Spieler‘ komponierte und rief völlig verzweifelt: ,Machst du dir überhaupt eine Vorstellung von dem, was du auf dem Flügel zusammenhämmerst?‘“Aus der geplanten Uraufführung am Mariinski-Theater wurde nichts im Strudel der politischen Ereignisse in Russland während des Zweiten Weltkriegs. Erst 1929 wurde „Der Spieler“in Brüssel uraufgeführt, in französischer Sprache.
Die Wiener Staatsoper hat nun die „russische“Fassung herausgebracht, an der Premiere am Mittwoch waren nicht nur im riesigen Ensemble zahlreiche Russen beteiligt, auch im Publikum führte eine russische Community die Jubelstürme zuletzt an. War es also ein Erfolg? Ja, kein einziges Buh war zu vernehmen. Bei näherer Betrachtung können kleine Einwände nicht ausbleiben in szenischer Hinsicht.
Dass Prokofjews Mama, eine klassische Pianistin, pikiert war, ist nachvollziehbar. Denn der Komponist übernahm zahlreiche Textstellen wörtlich, seine expressive Klangsprache musste auf eine Konversationsoper ohne Arien verdichtet werden, was nicht nur die Sänger, sondern auch das Orchester herausfordert. In diesem Falle hatte die beherzte Dirigentin Simone Young das Staatsopernorchester fest im Griff, auch im Aufrauschen emotionaler Gipfel blieb der Klang transparent, selbst das Blech überdeckte die Stimmen nie. Richtig entfesselt klang das Orchester in der Rouletteszene des Finalaktes, passend wie ein Tanz auf dem Vulkan, den Prokofjew mit enormer Energie auflud. In Kürze erzählt geht es ja um eine Geschichte in einem fiktiven „Roulettenburg“mit einem komplizierten Beziehungsgeflecht zwischen Personen, die alle nur eines wollen: Geld. Die Regisseurin Karoline Gruber hat für ihre Personenzeichnungen zur Groteske gegriffen, die nicht immer zielführend ist, ihre Figuren zerlaufen unter der Hand, nur wenige erhalten Kontur. Dazu zählt der General (raumfüllend markant: Dmitry Ulyanov), der nur auf den Tod der alten Babulenka (Linda Watson nützt ihre Wagner-Stimme wunderbar) wartet, um mit dem Erbe alle Sorgen los zu sein. Aus dem windigen Marquis (Thomas Ebenstein) macht die Regie einen Geldkoffer-Mafioso, der die ebenfalls verschuldete Polina, vergleichsweise ein Unschuldsengel (Elena Guseva mit metallischem Sopran) hart dominiert. Und mit Blanche (superblond Elena Maximova) geistert noch ein laszives, wandelbares Geschöpf eingebunden durch das geldgierige, verkommene Völkchen. Wie ein Außenseiter wirkt da der Hauslehrer Alexej (von heldischem Format der Tenor Misha Didyk), der Einzige mit echten Gefühlen, der zuletzt alles aufs Spiel setzt, um seine Polina zu erobern. Der Witz: Die sterbenskranke Babulenka taucht in Feierlaune pumperlgesund auf und verspielt die von allen neidvoll erhofften Millionen.
Wenn ein Programmzettel 31 Namen und Rollen auflistet, liegt das Problem der Regie auf der Hand. Zu erfahren war, dass auch einige Mozarteumsstudenten engagiert waren, Karoline Gruber unterrichtet in Salzburg. Viele der kuriosen Figuren tauchen nur auf, um einen Satz ins Geschehen zu werfen, speziell im Finale bietet Karoline Gruber einen Zombieball auf, denn Mechthild Seipel hat manch merkwürdige Maske entworfen. Die Bühne ist eine Art Ringelspiel, im ersten Teil werden Karussellpferde vorbeigezogen vor einem riesigen Bilderrahmen, alles ist höchst surreal, bis auf die Nöte der Menschen an der Rampe.
Und diese Nöte und Süchte machen sich in ausladenden Gesten bemerkbar, da drängt die Regie auf Verständlichkeit, was den langatmigen ersten Teil zwar nicht beschleunigt, aber durchaus hilfreich ist. Die artifizielle Personenzeichnung im zirzensischen Trubel schafft Distanz, das Mitleid hält sich in Grenzen, selbst im tragischen Finale, das Karoline Gruber entwickelt hat für das potenzielle „gute“Liebespaar Polina und Alexej.
Respekt muss man jedenfalls dem Repertoirebetrieb Wiener Staatsoper zollen, der alle Kräfte aufgeboten hat, um das aufwendige Unternehmen zu stemmen. Ob es der Kassa zuträglich ist, muss man wohl abwarten.