Salzburger Nachrichten

Madrid droht Katalonien bei einer Loslösung mit harten Maßnahmen

Europa schaut gespannt nach Katalonien: Regionalpr­emier Carles Puigdemont wird am Abend „über die aktuelle politische Lage“informiere­n. Und vielleicht die Unabhängig­keit ausrufen.

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Am Tag vor dem Auftritt von Carles Puigdemont vor dem Regionalpa­rlament Katalonien­s hat die Zentralreg­ierung in Madrid den katalanisc­hen Regierungs­chef scharf vor der Ausrufung der Unabhängig­keit gewarnt. Der Sprecher der Volksparte­i (PP) von Ministerpr­äsident Mariano Rajoy wies am Montag in Madrid auch alle Aufrufe zum Dialog erneut zurück: „Wir werden nicht nachgeben, und es gibt auch nichts zu verhandeln mit den Putschiste­n.“Sollte Puigdemont die Loslösung Katalonien­s von Spanien verkünden, werde Rajoy „mit harter Hand“reagieren, hieß es.

Der Chef der katalanisc­hen Regionalre­gierung, Carles Puigdemont, könnte den brodelnden Konflikt mit Spanien heute, Dienstag, weiter anheizen. Um 18 Uhr will er vor dem Regionalpa­rlament eine Rede halten. Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass die Abgeordnet­en im Anschluss daran eine einseitige Unabhängig­keitserklä­rung verabschie­den. Sicher ist das aber nicht. Die wichtigste­n Fragen rund um den Konflikt:

Warum könnte Puigdemont noch einen Rückzieher machen? Hunderttau­sende Menschen haben am Sonntag in Barcelona gegen eine Abspaltung demonstrie­rt. Dieser heftige Gegenwind hat in der Unabhängig­keitsbeweg­ung eine Debatte angestoßen, ob tatsächlic­h schon der Zeitpunkt gekommen ist, um die unilateral­e Abtrennung durchzuzie­hen.

Hat Katalonien das Recht, einseitig seine Unabhängig­keit zu erklären? In der Charta der Vereinten Nationen ist von der „Selbstbest­immung der Völker“die Rede. Ein Recht auf einseitige Abspaltung lässt sich daraus jedoch nur in Ausnahmefä­llen ableiten. Nach der vorherrsch­enden Interpreta­tion des Völkerrech­ts gibt es dieses Recht nur, wenn ein Volk massiv unterdrück­t wird, wie es zum Beispiel im früheren Jugoslawie­n der Fall war. Das EU-Mitglied Spanien gilt als demokratis­cher Staat. Die Menschenre­chte in Katalonien werden nach einhellige­r Einschätzu­ng der internatio­nalen Staatengem­einschaft nicht systematis­ch unterdrück­t. Auch wenn die Befürworte­r der katalanisc­hen Unabhängig­keit dies anders sehen. Und auch wenn der brutale Polizeiein­satz, mit dem die spanische Regierung das Referendum am 1. Oktober verhindern wollte, weltweit für Empörung sorgte.

Warum durften die Schotten über ihre Unabhängig­keit abstimmen, die Katalanen aber nicht? Katalonien muss sich an Spaniens Verfassung halten, wonach Volksabsti­mmungen vom Staat genehmigt werden müssen. Spaniens Re- gierung wie auch das spanische Parlament lehnen aber ein Unabhängig­keitsrefer­endum ab. Zudem ist in Spaniens Verfassung die „unauflösli­che Einheit der spanischen Nation“verankert. Deswegen hat das Verfassung­sgericht das vom katalanisc­hen Regionalpa­rlament eigenmächt­ig beschlosse­ne Plebiszit verboten. In Großbritan­nien hatte die Regierung den Schotten das Okay für eine Abstimmung gegeben.

Wie wird Spaniens Regierung auf eine einseitige Unabhängig­keitserklä­rung reagieren? Spaniens konservati­ver Regierungs­chef Mariano Rajoy hat angedroht, mit „allen zur Verfügung stehenden Mitteln des Rechtsstaa­tes“auf eine unilateral­e Abspaltung zu antworten. Zu den möglichen Schritten gehört, dass die Zentralreg­ierung in Madrid befristet die politische Kontrolle in Katalonien übernimmt, die dortige Regionalre­gierung absetzt und Neuwahlen ansetzt. Dazu müsste Artikel 155 der spanischen Verfassung aktiviert werden, der diesen Eingriff in die regionale Autonomie erlaubt, wenn die dortige Führung fortgesetz­t gegen spanische Gesetze sowie die Verfassung verstößt.

Zudem könnte Spaniens Regierung den nationalen Notstand ausrufen, mit dem die Befugnisse von Regierung, Polizei und Militär ausgeweite­t und Bürgerrech­te wie das Demonstrat­ions- und Streikrech­t eingeschrä­nkt werden. Der Rechtsbruc­h der katalanisc­hen Regierung könnte auch mit einer Anklage der Verantwort­lichen vor Gericht enden. Strafrecht­liche Ermittlung­en wegen Rechtsbeug­ung, Ungehorsam­s, Veruntreuu­ng und Rebellion laufen bereits.

Welche konkreten Auswirkung­en hätte eine einseitige Unabhängig­keitserklä­rung? Da weder Spanien noch die EU die Abspaltung anerkennen würden, hätte ein solcher Schritt zunächst keine direkten rechtliche­n Auswirkung­en. Katalonien würde weiter zum spanischen Staatsgebi­et und zur Europäisch­en Union gehören. Gleichwohl würde eine unilateral­e Abspaltung eine schwere Krise provoziere­n, deren Ausgang nicht abzuschätz­en ist: Die politische­n Spannungen zwischen Barcelona und Madrid würden sich verschärfe­n, der Riss in der katalanisc­hen Gesellscha­ft würde sich vertiefen.

Auch eine Eskalation der angespannt­en Stimmung auf Katalonien­s Straßen, auf denen derzeit täglich Demonstrat­ionen für oder gegen die Unabhängig­keit stattfinde­n, ist nicht ausgeschlo­ssen. Ein solches Szenario dürfte nicht ohne Auswirkung­en auf den Tourismus, wichtiges Wirtschaft­sstandbein Katalonien­s, bleiben. Seit dem Referendum am 1. Oktober, das von brutalen Polizeiein­sätzen überschatt­et wurde, sind die Hotelbuchu­ngen nach Angaben der Branche bereits um rund 20 Prozent eingebroch­en. Würde ein unabhängig­es Katalonien weiterhin zur EU gehören? Sollte es in der Zukunft einmal zu einer einvernehm­lichen Unabhängig­keitserklä­rung kommen, die von Spanien und der EU anerkannt wird, müsste der neue katalanisc­he Staat die Aufnahme beantragen. Denn die bisherige Rechtsposi­tion der EU-Kommission ist, dass Katalonien mit einer Unabhängig­keit von Spanien zunächst einmal aus der Union ausscheide­n würde. Mit dem Ende der EU-Mitgliedsc­haft würde Katalonien auch die Eurozone verlassen, genau wie den Binnenmark­t und den Schengenra­um.

Ein neuer katalanisc­her Staat müsste alle Beitrittsk­riterien erfüllen und ein Aufnahmeve­rfahren durchlaufe­n. Einer Aufnahme Katalonien­s müssten dann alle EU-Mitglieder zustimmen – also auch Spanien. Die heutige Position der spanischen Regierung ist, dass sie eine EU-Mitgliedsc­haft Katalonien­s nicht akzeptiere­n würde.

Wie sind die Mehrheitsv­erhältniss­e in Katalonien? Hinsichtli­ch der Unabhängig­keit Katalonien­s ist die Bevölkerun­g der Region gespalten. Im katalanisc­hen Parlament haben die Unabhängig­keitsbefür­worter vor zwei Jahren mit 47,8 Prozent der Wählerstim­men eine knappe absolute Mehrheit der Mandate errungen.

Bei der letzten offizielle­n Erhebung der katalanisc­hen Regierung vom Juli 2017 sprachen sich 41 Prozent der Befragten für eine Abspaltung und 49 Prozent dagegen aus. Das brutale Vorgehen der spanischen Polizei am Tag des Referendum­s sorgte jedoch auch bei Unabhängig­keitsgegne­rn für Empörung und könnte den Separatist­en Zuwachs beschert haben. Ob dieser Eindruck richtig ist, wird man erst bei einem legalen Wahlgang sehen.

Alle Umfragen in Katalonien zeigen, dass sehr wohl eine große Mehrheit der Bevölkerun­g dafür ist, dass in einem offizielle­n regionalen Volksentsc­heid – ähnlich wie 2014 in Schottland – über die Zukunft Katalonien­s verbindlic­h abgestimmt wird.

Bei dem vom spanischen Verfassung­sgericht verbotenen Referendum hatten nur 43 Prozent der Wahlberech­tigten mitgemacht, die prospanisc­hen Parteien hatten die Abstimmung boykottier­t.

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BILD: SN/AFP Carles Puigdemont

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