Wie Fische ihren Betrieb führen
Es gibt Fische, die unter Wasser Kosmetiksalons betreiben. Diese Unternehmer sind clevere Geschäftsleute mit einem feinen Gespür für die Wünsche ihrer Kunden.
„Putzer sind manipulative Tiere.“ Redouan Bshary, Ethologe in Neuchâtel
Beim 4. Biologicum in Grünau im Almtal sprachen die SN mit Redouan Bshary über Markttheorien und Muster der Kooperation im Tierreich.
SN: Sie erzählen Geschichten von Kosmetiksalons im Meer. Klingt, als würden Sie Drehbücher für „Spongebob“schreiben.
Bshary: (lacht) Nein, das tue ich nicht. Aber meine Fische sind gerade in der englischen Kinderserie „Oktonauten“zum Einsatz gekommen. Mit den Kosmetiksalons ist es so: Putzerfische entfernen Parasiten von anderen Fischen, sogenannten Kunden. Die Putzerfische, die ich im Indopazifik vom Roten Meer bis Australien und Französisch-Polynesien untersuche, haben kleine Stationen, zu denen Kunden kommen, um sich behandeln zu lassen. Die Interaktion kann zwischen zwei Sekunden und fünf Minuten dauern, dann schwimmt der Kunde wieder weg. Er kommt fünf bis 30 Mal am Tag zum Putzer. Das allein ist schon interessant, aber es gibt zusätzlich einen Interessenkonflikt. Putzerfische mögen Parasiten gar nicht so gern, sondern bevorzugen den Schleim, der die Haut und die Schuppen der Kunden schützt. Mit jedem Biss in den Schleim zwicken sie den Kunden. Das nenne ich Betrug am Kunden.
SN: Und wie reagieren die Kunden darauf?
Sie haben verschiedene strategische Optionen. Es gibt Raubfische, die den Putzer fressen können, wenn der Service schlecht ist. Das wissen die Putzer natürlich auch. Fazit: Raubfische werden nie betrogen. Sie bekommen immer einen perfekten Service, um das Risiko, gefressen zu werden, zu minimieren. Raubfische sind aber vergleichsweise selten. 95 Prozent der Kunden sind Friedfische. Die haben diese Möglichkeit der Drohung nicht.
SN: Können sie sich gar nicht gegen Betrug wehren?
Wir unterscheiden bei den Friedfischen zwischen den Anwohnern, die selbst nur ein kleines Streifgebiet und deswegen maximal eine Putzerstation haben, und Besu- chern, die größere Streifgebiete und dementsprechend mehrere Putzerstationen ansteuern können. Der Putzer hat das Monopol für die Anwohner, aber er steht durch die Besucher in Konkurrenz zu anderen Putzern. Diese Konkurrenzsituation löst er mit Servicequalität. Kunden, die Wahlmöglichkeiten haben, schwimmen tatsächlich zwischen Putzerstationen hin und her. Wenn der Service gut ist, kommt man zurück, wenn der Service schlecht ist, geht man woanders hin.
SN: Wenn ein Stammkunde und ein Laufkunde gleichzeitig kommen, wem gibt der Putzerfisch den Vorzug?
Putzerfische haben 2000 Interaktionen am Tag, das führt dazu, dass häufiger zwei Kunden gleichzeitig den Service beanspruchen. Dann muss der Putzer sich entscheiden, wem er Priorität gibt. Die gilt der Laufkundschaft, weil die davonschwimmen und einen anderen Putzer aufsuchen könnte. Der Anwohner muss sowieso warten, der kann ja nicht zu einem anderen. Also lässt er ihn auch warten.
SN: Dagegen können Anwohner sich nicht wehren?
Gegen Vernachlässigung nicht, gegen Betrug schon. Sie müssen den Putzer erziehen. Wenn er betrügt, jagen sie ihn herum und bestrafen ihn. Der Putzer merkt sich das, und das nächste Mal, wenn dieser Kunde kommt, dann ist er versöhnlich und macht seinen Job besonders gut. Er massiert den Kunden beispielsweise sanft mit den Flossen. Wir wissen, dass damit Stresshormone wie Cortisol bei den Kunden sinken. Sie genießen die Massage und lassen sich so besänftigen. Dementsprechend ist das System im Gleichgewicht.
SN: Es scheint, als hätten Putzerfische Machiavelli studiert.
Stimmt absolut, denn Putzerfische achten zusätzlich auf ihre Reputation. Wenn sie von einem potenziellen Kunden beobachtet werden, sind sie netter und machen besseren Service, als wenn sie nicht beobachtet werden. Da herrscht durchaus das Recht des Stärkeren. Und es herrscht Manipulation, indem man den Kunden mit Massagen in eine gute Stimmung versetzt. Das ist alles absolut faszinierend, denn es gab vorher keine Vorstellung davon, dass es Bestrafung oder Reputation im Tierreich gibt. Jetzt sind die Putzerfische auf beiden Gebieten das beste Beispiel abseits des Menschen. Putzer sind extrem manipulative Tiere, auf die man trotz aller Kooperation immer gut aufpassen muss.
SN: Und wenn man nicht aufpasst?
Wir haben ein Experiment gemacht, wo wir den Kunden anästhesiert und zum Putzer ins Aquarium gesetzt haben. Dann hat der Putzer überhaupt nicht nach Parasiten gesucht, sondern hat gleich angefangen, den Schleim zu fressen. Das zeigt, der Kunde muss stets wachsam sein …
SN: Werden geschäftstüchtige Putzerfische auch gierig?
Das ist der große Unterschied zum Menschen. Sobald es Geld gibt, kann man Nutzen anhäufen. Wenn es nur um einen vollen Magen geht, dann geht es nicht unendlich weiter. Interessanterweise wird man mit vollem Magen netter als mit leerem Magen. Ein Putzerfisch, dem es richtig gut geht, der ist netter als ein hungriger.
Redouan Bshary, geb. 1966 in Starnberg (D), ist Professor für Ethologie an der Universität Neuchâtel in der Schweiz. Kooperationen unter Fischen sind der Forschungsschwerpunkt des Verhaltensbiologen.
Das 4. Biologicum in Grünau im Almtal unter wissenschaftlicher Leitung des österreichischen Verhaltensforschers Kurt Kotrschal hatte „Miteinander, gegeneinander. Das Prinzip Kooperation“zum Thema.