„Viele Frauen mit Kopftuch sind sehr gut integriert“
Burkaverbot, Minarettverbot, Kopftuchverbot – die Politik in Österreich, der Schweiz und Deutschland tritt plakativ gegen „die Islamisierung“auf. Was heißt das für die Integration?
Der deutsche Kulturwissenschafter und Ethnologe Werner Schiffauer untersucht seit Jahrzehnten sogenannte Parallelgesellschaften. Im SN-Gespräch erläutert er, warum plakative Verbote Schaden anrichten.
SN: Wie wirken sich Verbote von Burka, Minarett oder Kopftuch auf die Integration aus?
Schiffauer: Solche Verbote sind frei von jeder Ahnung, was in den islamischen Gemeinden los ist. Eine solche Symbolpolitik verhärtet systematisch die Fronten, weil sie den
SN-THEMA Islam – kritische Anfragen
anderen in die Ecke stellt. Man sagt sehr deutlich: So wie du bist, wollen wir dich nicht haben. Pass dich an.
Das führt zur Solidarisierung in der islamischen Community – zum Teil auch mit Positionen, die man problematisch findet. Die Muslime fragen sich: „Wer sind wir denn, dass die Mehrheitsgesellschaft so mit uns umspringt?“Personen und Gruppen, die sich in die Gesellschaft einbringen wollen, werden verdächtigt, der Mehrheitsgesellschaft nach dem Mund zu reden, und ihre Position wird damit angreifbar. Oder man wirft ihnen Naivität vor: „Seht doch, die wollen uns nicht!“Das behindert den Integrationsprozess enorm und schwächt jede interne Reform.
SN: Die Integration käme besser voran, wenn die Politik nicht so viel Druck von außen machte?
Ja, absolut. Es kommt noch was Zweites hinzu: Die Symbolpolitik operiert mit einem viel zu schematischen Bild der muslimischen Frau. Sie wird als Opfer des Manns dargestellt. Es gibt aber viele Frauen in den islamischen Gemeinden, die aus eigenem Willen ein Kopftuch tragen. Sie erheben in der Gemeinde durchaus ihre Stimme und machen sich für Integration stark. Die Fronten verlaufen nicht so einfach, dass man sagen könnte, eine Frau mit Kopftuch ist integrationsfeindlich, eine ohne Kopftuch ist integrationsfreundlich.
Ich arbeite im Avicenna-Studienwerk viel mit muslimischen Studentinnen, die das Kopftuch aus religiöser Überzeugung tragen und in der Gemeinde für eine Reform des Islam und für eine Öffnung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft eintreten. Und zwar mit dem Argument: Wir bücken uns nicht, wir stehen zum Islam und wir wollen als fromme Musliminnen Teil der Gesellschaft sein. Eine Verbotspolitik fällt diesen integrationswilligen Frauen in den Rücken.
Das Studienwerk fördert begabte muslimische Studierende und Promovierende. 70 Prozent der Doktoranden sind Frauen, die zum größten Teil aus streng religiösen Elternhäusern kommen und selbstverständlich ein Kopftuch tragen. Dass diese Frauen den Einstieg in die akademische Berufswelt schaffen, zeigt klar, dass die Gleichung Kopf- tuch ist gleich integrationsunwillig falsch ist. Diese Frauen wollen in die Gesellschaft und qualifizieren sich dafür durch ihre Doktorarbeit. Wenn man dann aber ganze Berufssparten für sie verschließt …
SN: … Sie sprechen das Kopftuchverbot für Lehrerinnen in Deutschland an …
… ja, den ganzen pädagogischen Sektor, in dem gerade diese Frauen Brückenbauerinnen sein könnten. Das Kopftuch sollte daher definitiv kein Thema für politische Verbote sein. Die Burka finde ich persönlich nicht gut, aber auch in diesem Fall verhärtet ein Verbot die Fronten – völlig unnötig, weil es bei uns in keinem Verhältnis zur Zahl der Burkaträgerinnen steht. Ein solches Verbot ist rein populistisch.
SN: Was fördert die Integration?
Das Wichtigste ist, den Menschen das Gefühl zu geben, ihr seid willkommen – statt des Misstrauens eine Politik der Anerkennung. Wir sehen, dass ihr einen Beitrag zur Gesellschaft leistet. Wir nehmen das Angebot auf, das von euch kommt.
Da gab es im Herbst 2015 große Fortschritte, als die Flüchtlinge kamen. Integrationsbeauftragte in deutschen Städten sagten, wir stehen gut da, weil wir schon viele Moscheen haben und die Menschen in diesen Gemeinden die besten Expertinnen und Experten für die Aufnahme der Flüchtlinge sind. Sie haben dafür die kulturelle Kompetenz und die Sprachkompetenz. Dieses positive Signal an die Muslime – wir brauchen euch jetzt, eure Erfahrung ist für uns wertvoll – war für diese ein ungemein ermutigendes Signal. Erstmals haben diese Gemeinden gehört: Es ist gut, dass ihr da seid. Ihr könnt viel einbringen.
Das ist Integration, zu vermitteln, dass der Islam etwas hat, das für unsere Gesellschaft interessant ist, und uns wertvolle Einsichten vermitteln kann – unabhängig davon, ob man ihn nun als Teil unserer Kultur verstehen will oder nicht. Wir sagen ja auch gegenüber dem ZenBuddhismus, dass er interessant ist und uns etwas zu sagen hat – ohne dass ich deshalb Zen-Buddhist werden muss. Dieselbe Haltung ist auch gegenüber dem Islam angebracht.
SN: Sie haben sich frühzeitig mit dem Thema Parallelgesellschaft auseinandergesetzt. Wie berechtigt ist die weitverbreitete Sorge darüber?
Es gibt zweifellos ethnische Viertel. Es gibt in Berlin die Sonnenallee in Neukölln, die arabisch ist, es gibt türkischsprachige Viertel, aber das ist alles nicht dramatisch. Die Klage der Mehrheitsgesellschaft über diese sogenannten Parallelgesellschaften höre ich seit den 1980er-Jahren. Damals sprach man von Ghettos.
Tatsache ist, dass Migranten gern in Vierteln leben, in denen andere Migranten leben, aber nicht unbedingt solche der eigenen Ethnie. Wichtig ist ihnen, dass sie das Gefühl haben, hier sind sie sicher. Migranten, die in einem rein deutschen Viertel wohnen, haben Angst vor Mobbing. In einem Viertel, das multiethnisch ist und wo die Differenzen selbstverständlich sind, ist ihr Sicherheitsgefühl höher. Das ist eine multinationale Gesellschaft, aber keine Parallelgesellschaft.
Das Zweite ist: Es würde die Entwicklung hin zu ethnisch homoge- nen Vierteln fast nicht geben, wenn es keine Diskriminierung am Wohnungsmarkt gäbe. Versuchen Sie doch einmal, mit dem Vornamen Hassan eine Wohnung in einem mehrheitlich bürgerlichen Viertel wie Zehlendorf in Berlin zu bekommen. Sie haben keine Chance.
Bei dem Gejammer über Parallelgesellschaften wird nie die Dynamik berücksichtigt, die aus der Mehrheitsgesellschaft kommt, zum Beispiel die bewusste Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, die zweifelsfrei nachgewiesen ist.
Das ist auch deshalb eine Krux, weil viele Migranten der Kinder wegen in einer gemischten Umgebung wohnen möchten, wo an den Schulen die Hälfte der Kinder deutsch ist und die andere Hälfte multiethnisch. In Berlin ist zu beobachten, dass viele aus der türkischen Gemeinde in den Süden Berlins ziehen, raus aus klassischen Einwanderervierteln. Dieser Umzug auch um der Kinder willen führt zu neuen, gemischten Stadtvierteln.
Der Sehnsucht nach der eigenen Gruppe ist Genüge getan, wenn man irgendwo in der Nähe einen Laden hat, in dem man die gewohnten Produkte kaufen kann. Es ist auch ganz nett, wenn die Oma um die Ecke wohnt, die bei der Kinderbetreuung mithilft. Aber man sucht gar nicht bewusst die Nähe zur ethnischen Community – zumal es auch dort nicht nur Gleichgesinnte gibt, sondern sehr unterschiedliche Strömungen. Bevor ein türkischer Nationalist mit kurdischen Nationalisten zusammenwohnen will, lebt er lieber mit Dritten zusammen. Die muslimischen Communitys sind vielfältig ausdifferenziert, und es gibt viele Prozesse, die auch in Richtung Integration laufen. Diese zu fördern, anstatt sie durch eine plakative Verbotspolitik zu behindern, ist das Gebot der Stunde.
„Bei der Suche nach Wohnung diskriminiert.“ Werner Schiffauer, Kulturwissenschafter