Salzburger Nachrichten

Zwei Nationalis­ten auf dem Weg nach nirgendwo

Politik ist die Kunst, den Frieden zu wahren. Spaniens Regierungs­chef und sein katalanisc­her Kollege haben versagt.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SN.AT

Carles Puigdemont, Regierungs­chef in Katalonien, hat in seiner mit Spannung erwarteten Rede vor dem Regionalpa­rlament die Ausrufung der Unabhängig­keit verschoben. Im Bemühen, das Problem zu lösen, das er selbst mitverursa­cht hat, muss er auf Zeit spielen. Möglich, dass sich noch eine Gesprächsb­asis zwischen Madrid und Barcelona findet. Hoffentlic­h, ist beizufügen. Mit den führenden Köpfen dürfte das jedoch wenig aussichtsr­eich sein.

Mariano Rajoy, Chef einer konservati­ven Minderheit­sregierung in Madrid, ist zwar Überlebens­künstler. Seine Partei und er selbst stecken in einer Serie geradezu unglaublic­her Korruption­sskandale, die ihn in jedem anderen europäisch­en Land längst das Amt gekostet hätten. Doch gerade deswegen fehlen ihm Glaubwürdi­gkeit und Handlungsf­ähigkeit. Seine verstockte Verweigeru­ng jedes Dialogs mit den Katalanen und sein Rückzug auf einen formellen Rechtsstan­dpunkt haben die Krise angeheizt – wie es im Übrigen von der Truppe Puigdemont­s geplant und in Kauf genommen worden ist. Rajoy ist verantwort­lich für Szenen, die eine Schande für eine europäisch­e Demokratie sind. Schwer gerüstete Spezialein­heiten der Polizei prügelten auf friedliche Bürger ein. Hunderte Menschen wurden verletzt. Doch Schlägertr­upps, auch wenn sie in Uniform sind, können nie für Recht sorgen. Ihr Einsatz ist ein Missbrauch der Verfassung, deren Gebot der nationalen Einheit Rajoy angeblich so heilig ist.

Carles Puigdemont auf der anderen Seite ist ein ebenso unerbittli­cher Nationalis­t, nur innerhalb engerer, weil katalanisc­her Grenzen. 2016 mit nicht einmal der Hälfte der Stimmen gewählt und in Koalition mit linksextre­men Separatist­en, steuert er einen beinharten Eskalation­skurs. Weder verfügt er über ein Mandat für eine einseitige Unabhängig­keitserklä­rung, die in Wahrheit auf eine Selbstverz­wergung Katalonien­s außerhalb der EU hinauslauf­en würde, noch kann das Referendum mit seiner niedrigen Wahlbeteil­igung von knapp über 40 Prozent als Rechtferti­gung dienen.

Alles deutet darauf hin, dass die Mehrheit in Katalonien und auch im restlichen Spanien den Weg der Vernunft und des Verstandes bevorzugen würde: Verhandlun­gen über ein neues Autonomies­tatut, Möglichkei­t eines Referendum­s über eine Unabhängig­keit im Einvernehm­en und schließlic­h Abstimmung. Katalonien würde bei Spanien bleiben.

Rajoy und Puigdemont, diese beiden blinden Nationalis­ten, müssten nur zurücktret­en, um den Weg frei zu machen.

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