Poker um die Unabhängigkeit
Kataloniens Regierungschef hält am Ziel einer Unabhängigkeit von Spanien fest. Aber er will zunächst auf Dialog und Vermittlung setzen.
Drinnen tagt das katalanische Parlament. Draußen, vor den Toren des Parlamentsgeländes, warteten tausende Befürworter der Unabhängigkeit. Gelbrote Fahnen mit dem Unabhängigkeitsstern wehten im Wind.
Dann trat endlich, mehr als eine Stunde später als geplant, Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont ans Rednerpult im katalanischen Parlament. „Die Urnen sagen Ja zur Unabhängigkeit und dies ist der Weg, den ich bereit bin zu gehen“, erklärt Puigdemont.
Er geht nicht darauf ein, dass dieses Referendum vom spanischen Verfassungsgericht verboten und weder von Spaniens Regierung noch vom Rest der demokratischen Welt anerkannt wurde. Und: „Ich akzeptiere den Auftrag des Volkes, damit Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird.“
Minutenlanger Beifall braust in den Reihen der Separatisten im katalanischen Parlament. Doch dann kommt die Einschränkung: Puigdemont schlägt vor, „die Auswirkungen der Unabhängigkeitserklärung für einige Wochen zu suspendieren, um einen Dialog zu beginnen und zu einer Verhandlungslösung zukommen“.
Puigdemonts Aussage lässt sich als ein rhetorischer Klimmzug interpretieren: Er hält am Unabhängigkeitsplan im Prinzip fest, weil er sich durch das Referendum dazu legitimiert sieht. Er proklamierte aber am Dienstagabend noch nicht offen die Abspaltung mit allen Konsequenzen.
Offenbar ein Zugeständnis an all jene in Katalonien, Spanien und auch in Europa, die Puigdemont in den letzten Tagen bekniet hatten, die Atombombe der unilateralen Abspaltung, wie es manche nannten, noch nicht sofort zu zünden. Also eine Art „Unabhängigkeitserklärung light“. Bei dem Referendum, das trotz eines Verbotes des spanischen Verfassungsgerichtes am 1. Oktober stattfand, hatten nur 43 Prozent der Berechtigten mitgemacht. Die spanientreuen Parteien hatten dieses Plebiszit boykottiert. Deswegen stimmten fast nur die Unabhängigkeitsanhänger ab. 90 Prozent stimmten für eine eigene Republik Katalonien.
Dass Spaniens Verfassungsgericht das Referendum wie auch das dazugehörige Referendumsgesetz für illegal erklärt hatte, stören Puigdemont und seine Weggefährten nicht. „Wir erfüllen nur den Willen des katalanischen Parlaments“, sagt Puigdemont. Die spanische Verfassung und Gerichtsbarkeit wird von der katalanischen Regierung nicht mehr anerkannt.
Deswegen laufen bereits strafrechtliche Ermittlungen gegen Puigdemont und andere Verantwortliche der Unabhängigkeitsbewegung. Ihnen könnte wegen Rechtbeugung, Ungehorsam und Rebellion der Prozess gemacht werden. Doch auch die Aussicht ins Gefängnis zu wandern, schreckt Puigdemont nicht. „Wir werden tun, wofür wir angetreten sind“, bekräftigte er.
Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy drohte bereits an, dass Madrid Artikel 155 der Verfassung anwenden könnte, wenn der Unabhängigkeitsplan tatsächlich umgesetzt werde. Mit diesem Verfassungspassus könnte die spanische Zentralregierung komplett die Kontrolle in der aufmüpfigen Region übernehmen, die Regionalregierung absetzen, das Parlament auflösen und Neuwahl in Katalonien durchsetzen. Die Aktivierung des Artikels 155 müsste vom spanischen Oberhaus gebilligt werden, wo Rajoys konservative Partei die absolute Mehrheit hat.
„Wir werden,“sagte Spaniens Vize-Regierungschefin Soraya Saénz de Santamaría, „alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um das Gesetz und die Demokratie in Katalonien wiederherzustellen“. Einen Dialog und Verhandlungen, wie von Puigdemont am Dienstagabend wieder ins Spiel gebracht, lehnt Spaniens Regierung ab. Mit Rechtsbrechern, so tönt Madrid, könne man nicht verhandeln.
Ob freilich spanische Zwangsmaßnahmen den katalanischen Unabhängigkeitswillen niederringen können, scheint eher unwahrscheinlich.