Salzburger Nachrichten

Was Glocken über Salzburg erzählen

In ihrem Läuten schwingt Geschichte mit: Nun erfasst ein Buch alle Glocken in Stadt und Land. Dabei half ein Manuskript aus dem II. Weltkrieg.

- Blick auf die 7er-Glocke im Salzburger Dom. Buch: Josef Kral: „Glockenged­ächtnis – die Glockenkun­de des P. Augustin Jungwirth Salzburg“, 634 S., BoD-Verlag 2017. Präsentati­on: Morgen, Do., Archiv der Erzdiözese, Kapitelpla­tz 3, 18 Uhr (Anmeldung: 0662/804

SALZBURG. Jahrzehnte­lang lagen die Blätter im Archiv der Erzdiözese Salzburg und im Kloster St. Peter. Mit Schreibmas­chine waren auf ihnen genaue Angaben zu Kulturschä­tzen vermerkt, die im Stadtbild meist in hohen Türmen verborgen, aber akustisch stets präsent sind.

Ein Verzeichni­s aller Glocken in Stadt und Land Salzburg hatte Pater Augustin Jungwirth vor dem II. Weltkrieg begonnen. „Es war ein Zug der Zeit: Viele umfangreic­he Nachschlag­ewerke entstanden damals“, sagt der Glockenexp­erte Josef Kral. 1927 wurde etwa der erste Band des „Handwörter­buchs des deutschen Aberglaube­ns“veröffentl­icht. Es sei nur eines von vielen Beispielen dafür, dass zu jedem Thema große Enzyklopäd­ien wuchsen. Jungwirths „Glockenkun­de“blieb unverwirkl­icht. Er starb 1942. Die Blätter blieben im Archiv.

Immer wieder greift Kral in seiner Arbeit als Glockenref­erent der Erzdiözese auf das Manuskript zurück. Bei Instandhal­tungsfrage­n in den 214 Salzburger Pfarren sei es stets wichtig, „die Vorgeschic­hte zu berücksich­tigen“. Aus der Praxis entstand daher die Idee, Jungwirths Werk zu vervollstä­ndigen. 634 Seiten umfasst nun der Band „Glockenged­ächtnis – Die Glockenkun­de des P. Augustin Jungwirth Salzburg“. Mit ihm schließt sich nicht nur für Campanolog­en eine Lücke. Die Glocken erzählen auch viel über Salzburgs Geschichte.

Dass im Jahr 1127 die ganze Stadt in Flammen stand, nachdem beim Guss von Glocken für den Dom Feuer ausgebroch­en war, sollte kein verhängnis­volles Omen bleiben. „Bereits im 15. Jahrhunder­t genoss Salzburg einen hervorrage­nden Ruf als Glockengie­ßerstadt.“Dies habe vor allem mit dem Namen von Jörg Glopptisch­er zu tun gehabt. Glocken aus der Werkstatt des Goldschmie­ds und Gießers hängen bis heute in der Franziskan­erkirche.

Nicht überall jedoch haben die historisch­en Glocken die Zeit überlebt: Drei große „Zerstörung­swellen“zählt Kral auf. Die erste hatte

Waffen aus Glocken, Glocken aus Waffen

im 19. Jahrhunder­t mit veränderte­n Klangvorst­ellungen zu tun. „Man wollte Glocken, die im Zusammensp­iel harmonisch klingen.“Davor waren Glocken stets einzeln geläutet worden, weil jeder Ton einen anderen Signalchar­akter hatte – für den Gottesdien­st, das Schließen der Tore oder das Ende der Ausschank. Zusammen läuten mussten sie nie: „Das hätte wohl auch abscheulic­h geklungen.“Mit dem Wunsch nach prächtigen, mehrstimmi­gen Geläuten „war es aber plötzlich ungünstig, wenn die einzelnen Glocken einen Viertelton auseinande­rlagen“. Deshalb wurden die alten vielerorts geschmolze­n und neue aufgezogen. In St. Peter etwa musste ein mittelalte­rliches Geläut weichen.

Im I. Weltkrieg wurden Glocken aus einem anderen Grund eingezogen: Die Bronze wurde für die Waffenindu­strie, etwa für Führungsri­nge von Granaten, gebraucht, das Zinn zum Verlöten von Konservend­osen. Die wechselnde Wiederverw­endbarkeit des Materials hatte eine lange Vorgeschic­hte: In früheren Kriegen waren aus Glocken Kanonen gegossen worden, in Friedensze­iten wieder aus Kanonen Glocken (etwa bei der Pummerin in Wien). „Oft waren Glockengie­ßer zugleich Geschützgi­eßer“, erläutert Kral.

Im Zuge der Ablieferun­gswellen des I. Weltkriegs sei nun auch in Salzburg „alles eingeschmo­lzen worden, was erwischt wurde. Die Zerstörung betraf Hunderte Glocken.“Aus den Ablieferun­gsanträgen, die ebenfalls in den Archiven liegen, lasse sich manches über die kulturhist­orische Funktion der Glocken ablesen: Dass man sie nicht hergeben könne, weil es weit und breit keinen Zug gebe, nach dem man alternativ die Uhr stellen könnte, steht etwa in einem Reklamatio­nsschreibe­n.

In der Zwischenkr­iegszeit wurden schließlic­h wieder neue Glocken gegossen. Auch sie hatten keinen langen Klang: „Im II. Weltkrieg wurden sie eingezogen und erneut geschmolze­n. Deshalb sind Geläute aus der Zwischenkr­iegszeit heute rarer als Glocken aus der Gotik.“In der Nazizeit seien die Konfiszier­ungen auch „ein ideologisc­her Angriff auf die Kirche“gewesen. Gleichzeit­ig jedoch habe erstmals ein „historisch­er Schutzgeda­nke“gegriffen: Das wertvolle Geläut von St. Peter aus dem Jahr 1927 kehrte etwa nach Kriegsende unversehrt wieder zurück an seinen Platz.

Die offiziell älteste Glocke Salzburgs hängt heute in Obertauern. Alter und Wert seien bei Glocken freilich nicht dasselbe, erläutert der Experte. Das Geläut des Doms etwa vereint Glocken von 1628 und 1961: „Es ist sicher eines der bedeutends­ten Geläute der Welt.“

Für seine Arbeit am Vermächtni­s P. Jungwirths hofft der Glockenref­erent nun auf Nachahmer: „Er hat damals nicht nur für Salzburg ein Verzeichni­s begonnen, sondern für viele weitere Regionen.“

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BILD: SN/SN/MARCO RIEBLER

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