Was Glocken über Salzburg erzählen
In ihrem Läuten schwingt Geschichte mit: Nun erfasst ein Buch alle Glocken in Stadt und Land. Dabei half ein Manuskript aus dem II. Weltkrieg.
SALZBURG. Jahrzehntelang lagen die Blätter im Archiv der Erzdiözese Salzburg und im Kloster St. Peter. Mit Schreibmaschine waren auf ihnen genaue Angaben zu Kulturschätzen vermerkt, die im Stadtbild meist in hohen Türmen verborgen, aber akustisch stets präsent sind.
Ein Verzeichnis aller Glocken in Stadt und Land Salzburg hatte Pater Augustin Jungwirth vor dem II. Weltkrieg begonnen. „Es war ein Zug der Zeit: Viele umfangreiche Nachschlagewerke entstanden damals“, sagt der Glockenexperte Josef Kral. 1927 wurde etwa der erste Band des „Handwörterbuchs des deutschen Aberglaubens“veröffentlicht. Es sei nur eines von vielen Beispielen dafür, dass zu jedem Thema große Enzyklopädien wuchsen. Jungwirths „Glockenkunde“blieb unverwirklicht. Er starb 1942. Die Blätter blieben im Archiv.
Immer wieder greift Kral in seiner Arbeit als Glockenreferent der Erzdiözese auf das Manuskript zurück. Bei Instandhaltungsfragen in den 214 Salzburger Pfarren sei es stets wichtig, „die Vorgeschichte zu berücksichtigen“. Aus der Praxis entstand daher die Idee, Jungwirths Werk zu vervollständigen. 634 Seiten umfasst nun der Band „Glockengedächtnis – Die Glockenkunde des P. Augustin Jungwirth Salzburg“. Mit ihm schließt sich nicht nur für Campanologen eine Lücke. Die Glocken erzählen auch viel über Salzburgs Geschichte.
Dass im Jahr 1127 die ganze Stadt in Flammen stand, nachdem beim Guss von Glocken für den Dom Feuer ausgebrochen war, sollte kein verhängnisvolles Omen bleiben. „Bereits im 15. Jahrhundert genoss Salzburg einen hervorragenden Ruf als Glockengießerstadt.“Dies habe vor allem mit dem Namen von Jörg Glopptischer zu tun gehabt. Glocken aus der Werkstatt des Goldschmieds und Gießers hängen bis heute in der Franziskanerkirche.
Nicht überall jedoch haben die historischen Glocken die Zeit überlebt: Drei große „Zerstörungswellen“zählt Kral auf. Die erste hatte
Waffen aus Glocken, Glocken aus Waffen
im 19. Jahrhundert mit veränderten Klangvorstellungen zu tun. „Man wollte Glocken, die im Zusammenspiel harmonisch klingen.“Davor waren Glocken stets einzeln geläutet worden, weil jeder Ton einen anderen Signalcharakter hatte – für den Gottesdienst, das Schließen der Tore oder das Ende der Ausschank. Zusammen läuten mussten sie nie: „Das hätte wohl auch abscheulich geklungen.“Mit dem Wunsch nach prächtigen, mehrstimmigen Geläuten „war es aber plötzlich ungünstig, wenn die einzelnen Glocken einen Viertelton auseinanderlagen“. Deshalb wurden die alten vielerorts geschmolzen und neue aufgezogen. In St. Peter etwa musste ein mittelalterliches Geläut weichen.
Im I. Weltkrieg wurden Glocken aus einem anderen Grund eingezogen: Die Bronze wurde für die Waffenindustrie, etwa für Führungsringe von Granaten, gebraucht, das Zinn zum Verlöten von Konservendosen. Die wechselnde Wiederverwendbarkeit des Materials hatte eine lange Vorgeschichte: In früheren Kriegen waren aus Glocken Kanonen gegossen worden, in Friedenszeiten wieder aus Kanonen Glocken (etwa bei der Pummerin in Wien). „Oft waren Glockengießer zugleich Geschützgießer“, erläutert Kral.
Im Zuge der Ablieferungswellen des I. Weltkriegs sei nun auch in Salzburg „alles eingeschmolzen worden, was erwischt wurde. Die Zerstörung betraf Hunderte Glocken.“Aus den Ablieferungsanträgen, die ebenfalls in den Archiven liegen, lasse sich manches über die kulturhistorische Funktion der Glocken ablesen: Dass man sie nicht hergeben könne, weil es weit und breit keinen Zug gebe, nach dem man alternativ die Uhr stellen könnte, steht etwa in einem Reklamationsschreiben.
In der Zwischenkriegszeit wurden schließlich wieder neue Glocken gegossen. Auch sie hatten keinen langen Klang: „Im II. Weltkrieg wurden sie eingezogen und erneut geschmolzen. Deshalb sind Geläute aus der Zwischenkriegszeit heute rarer als Glocken aus der Gotik.“In der Nazizeit seien die Konfiszierungen auch „ein ideologischer Angriff auf die Kirche“gewesen. Gleichzeitig jedoch habe erstmals ein „historischer Schutzgedanke“gegriffen: Das wertvolle Geläut von St. Peter aus dem Jahr 1927 kehrte etwa nach Kriegsende unversehrt wieder zurück an seinen Platz.
Die offiziell älteste Glocke Salzburgs hängt heute in Obertauern. Alter und Wert seien bei Glocken freilich nicht dasselbe, erläutert der Experte. Das Geläut des Doms etwa vereint Glocken von 1628 und 1961: „Es ist sicher eines der bedeutendsten Geläute der Welt.“
Für seine Arbeit am Vermächtnis P. Jungwirths hofft der Glockenreferent nun auf Nachahmer: „Er hat damals nicht nur für Salzburg ein Verzeichnis begonnen, sondern für viele weitere Regionen.“