Rätsel um toten Wachsoldaten
Ein 22-jähriger Salzburger erschoss während des Wachdienstes beim Bundesheer seinen Kameraden mit dem Sturmgewehr. Warum sich der Schuss nicht zufällig gelöst haben kann.
WIEN. Erneut beklagt das Österreichische Bundesheer den Tod eines Rekruten. Zwei Monate nachdem ein 19-jähriger Soldat bei einem Marsch in Niederösterreich kollabiert und im Krankenhaus verstorben war, erschoss am Montagabend in der Albrechtskaserne in WienLeopoldstadt ein Wachsoldat seinen Kollegen, der mit ihm gemeinsam Dienst versah. Selbst 24 Stunden später war noch nicht klar, ob es sich um ein Versehen oder um Absicht handelte. Der 22-jährige Schütze, ein gebürtiger Salzburger, wurde am Dienstag bis in die Abendstunden von Ermittlern des Landeskriminalamts Wien vernommen. Eines stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest: Der Schuss aus der Standardwaffe des Bundesheeres, einem StG 77, kann sich nicht zufällig gelöst haben.
„Ein Schuss löst sich nicht einfach“, betonte Bundesheer-Sprecher Michael Bauer. Das StG 77 muss davor erst geladen und entsichert werden. Zur Erklärung: Ein Wachsoldat ist zwar mit scharfer Munition ausgerüstet. Doch die Waffe ist lediglich „halb geladen“. Soll heißen: Das Magazin mit den Patronen ist lediglich angesteckt, es befindet sich keine Patrone im Lauf. Zur zusätzlichen Sicherung dient ein kleiner Hebel, mit dem man das Sturmgewehr entsichert. Dann erst kann geschossen werden. Darüber hinaus erhält ein Wachsoldat eine zweimonatige Ausbildung, die mit Prüfung abgeschlossen wird. Der 22-jährige Salzburger war im Mai eingerückt, verfügte also schon über Erfahrung im Wachdienst. Zudem sei der Schütze der „beste Soldat“, den er „in den letzten Jahren hatte“, und bisher „nur positiv aufgefallen“, sagte der geschockte Ausbildner des 22-Jährigen.
Vorfälle mit Dienstwaffen gab es beim Bundesheer immer wieder: Im Mai 1987 wurde in der Pirago-Kaserne in Melk ein 19-jähriger Wachsoldat bei der Ablöse von einem 21-jährigen Wehrmann erschossen. Eine Untersuchung ergab, dass dieser das Gewehr nicht entladen hatte, ehe er das Wachlokal betrat. Im September 1997 feuerte in der Spratzerner Kopal-Kaserne bei St. Pölten ein betrunkener Unteroffizier mit seiner Glock-Pistole auf einen Korporal, der seitlich in den Bauch getroffen wurde. Der Mann überlebte schwer verletzt, weil die Schnalle des Feldgurts das Projektil ablenkte. Der Unteroffizier dachte, die Waffe sei nicht geladen, und drückte ab. Im Mai 2009 wurde ein 25-jähriger Soldat im Kosovo von einem Kollegen durch einen Schuss in die linke Schulter verletzt. Im August 2010 schoss sich ein 23-jähriger Berufssoldat in Oberösterreich unabsichtlich mit einer Pistole ins Bein, im September 2012 ereilte einen 31-jährigen Berufssoldaten in Tirol dasselbe Schicksal, ebenso wie einen 24jährigen Gefreiten, der sich im Jänner 2014 im Burgenland mit einem Sturmgewehr schwer verletzte. Im Jänner 2015 löste sich beim Entladen der Waffe eines 19-Jährigen unabsichtlich ein Schuss und traf einen Kameraden am Oberschenkel.
Die Ermittler befragten am Dienstag auch einen weiteren Wachsoldaten, der sich zum Zeitpunkt der Schussabgabe in dem Container aufhielt. Dieser gab jedoch an, nichts gesehen zu haben. Er gab aber zu Protokoll, dass es im Vorfeld des Unglücks keinerlei Streitigkeiten zwischen Schütze und Todesopfer gegeben habe. Dennoch führen die Kriminalisten nun Umfelderhebungen durch, um sich vom Verhältnis der beiden Soldaten zueinander ein Bild machen zu können.
Eine Sicherheitsdebatte um die Bewaffnung von Rekruten, die Wachdienst versehen, werde es dennoch nicht geben, bekräftigte Heeressprecher Bauer. „Auch wenn es sich um ein überaus tragisches Ereignis handelt: Es steht völlig außer Zweifel, dass militärische Standorte bewacht werden müssen.“