Mit der Weltwirtschaft geht es weiter aufwärts
Die aktuelle Konjunkturlage biete das ideale Umfeld für Reformen, jetzt seien Politik und Notenbanken gefordert, sagt der Währungsfonds.
Die Erholung der Weltwirtschaft setzt sich fort – und sie gewinnt an Fahrt. „Das Bild unterscheidet sich deutlich von jenem zu Beginn des Vorjahres, als sich die globale Wirtschaft noch mit zögerlichem Wachstum und Turbulenzen auf dem Finanzmarkt konfrontiert sah“, sagte Maurice Obstfeld, Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), am Dienstag. Nun beobachte man einen „sich beschleunigenden, zyklischen Aufschwung“, der Europa, China, Japan, die USA und auch aufstrebende Länder Asiens erfasst habe.
Der IWF hat in seinem Ausblick auf die Weltwirtschaft die Prognose für das Wachstum daher um jeweils 0,1 Prozent auf 3,6 Prozent für heuer und 3,7 Prozent für 2018 erhöht. Das liegt deutlich über den 3,2 Prozent von 2016, dem tiefsten Wert seit der Finanzkrise. Heuer werde der Aufschwung von den Industrieländern getragen – im nächsten Jahr von den aufstrebenden Volkswirtschaften sowie den Entwicklungsländern. Was die IWF-Ökonomen zuversichtlich stimmt, ist die Breite des Konjunkturaufschwungs – das eröffne der Politik die Möglichkeit, ambitionierte Schritte zu setzen, die das Wachstum befördern und die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft in der Zukunft erhöhen.
„Politiker sollten die Gunst der Stunde nutzen“, sagte Obstfeld. In bestimmten Bereichen sei die Erholung noch nicht vollständig, „aber das Fenster, das der gegenwärtige Aufschwung bietet, wird nicht ewig offen stehen“. Dass der Aufschwung noch unvollständig ist, machen die Ökonomen des IWF erstens daran fest, dass sich in den Ländern zwar die tatsächlich erzielte Wirtschaftsleistung dem Potenzial annähere, die Entwicklung der nominalen und realen Löhne aber schwach bleibt. Das sei ein Resultat dessen, dass die mittleren Einkommen über Jahre schwächer wuchsen als jene an der Spitze oder sogar stagnierten. Die daraus resultierende höhere Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen nähre Zweifel über die Verteilung der Globalisierungsgewinne und sei ein Risiko für die Erholung.
Der Aufschwung sei zudem in den Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt. Zu den Verlierern zählt der Währungsfonds die aufstrebenden Volkswirtschaften und die Rohstoffe exportierenden Niedriglohnländer ebenso wie jene Staaten, in denen es politische Unruhen gebe.
Drittens dürfe der gegenwärtige Aufschwung nicht darüber hinwegtäuschen, dass der mittelfristige Wachstumspfad deutlich flacher sei als in früheren Zeiten. Während die Wirtschaftsleistung entwickelter Industriestaaten zwischen 2017 und 2022 im Durchschnitt um 1,4 Prozent pro Jahr zunehmen soll, waren es im Zeitraum 1996–2005 noch 2,2 Prozent. Zudem geht der IWF davon aus, dass das Pro-KopfEinkommen in den 43 aufstrebenden und Entwicklungsländern hinter dem der Industriestaaten zurückbleiben wird. Statt einer Annäherung der Volkswirtschaften sei zu beobachten, dass sich diese weiter auseinander entwickeln.
Politiker sollten daher jetzt aktiv werden, sagte Obstfeld, „solange die Zeiten gut sind“. Für den IWF gehört dazu die Vollendung der Reformen zur Stabilisierung des Finanzsystems, aber auch der Staatshaushalte. Vor allem Länder, die nahe der Vollbeschäftigung sind, sollten beginnen, die hohen Schulden abzutragen und so Spielraum für die nächste Rezession zu schaffen. Auf dem Arbeitsmarkt sollten kurzfristig Maßnahmen Vorrang haben, die helfen, die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit einzudämmen. Eine wichtige Rolle beim Stabilisieren der Wirtschaft komme den Notenbanken zu. Ein möglichst sanfter Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik sei wichtig, um Turbulenzen an den Märkten und eine allzu rasche Straffung der finanziellen Bedingungen zu vermeiden, die eine Gefahr für die Konjunktur wären. Der Spielraum werde aber dadurch eingeschränkt, dass die Inflation trotz des Rückgangs der Arbeitslosigkeit „rätselhaft niedrig“bleibe.
Im Einklang mit der Anpassung des Ausblicks für die Weltwirtschaft hat der IWF auch seine Vorhersage für Österreich erhöht. Für heuer wird nach nur 1,4 Prozent im Frühjahr nun ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 2,3 Prozent erwartet. Für 2018 wird mit 1,9 Prozent zwar wieder eine leichte Abschwächung erwartet, der Wert liegt aber deutlich über den 1,3 Prozent vom Frühjahr. Mit den aktuel- len Prognosen liegt der IWF allerdings noch unter jenen der österreichischen Institute. Wifo und IHS hatten Ende September ein Wachstum von 2,8 sowie 2,6 Prozent für heuer prognostiziert. Während das Wifo davon ausgeht, dass der Boom 2018 mit 2,8 Prozent anhält, rechnet das IHS dann mit 2,1 Prozent. In jedem Fall wird Österreichs Wirtschaft wieder stärker als die Eurozone und als Deutschland wachsen.
Als Gefahr für die Weltwirtschaft betrachtet der IWF einen möglichen Schwenk zu protektionistischer Politik, die würde den Handel und grenzüberschreitende Investitionen bremsen und das Wachstum beeinträchtigen. Angesichts der politischen Unsicherheit in den USA hat der IWF die Prognose für die weltgrößte Volkswirtschaft jeweils um 0,1 Prozentpunkte gesenkt. Auch für Großbritannien ist man weniger zuversichtlich, die Aussicht auf den Brexit lässt den Konjunkturmotor hörbar stottern.
„Politik sollte den Moment nutzen.“Maurice Obstfeld, Chefökonom des IWF