Marcel Kollers Erbe: Wie gut ist das Team aufgestellt?
Der Schweizer verabschiedete sich siegreich und übergibt eine verjüngte Mannschaft an seinen Nachfolger. Eine Bestandsaufnahme.
CHIȘINĂU, WIEN. Zum Abschluss gab es noch Überstunden für Marcel Koller. Erst um 0.15 Uhr Ortszeit konnte er nach dem 1:0-Sieg über Moldawien seine letzte Pressekonferenz, abgehalten in einem zugigen Turnsaal neben dem Stadion in Chișinău, verlassen. Koller hat in seiner sechsjährigen Ära die Latte für den Nachfolger hoch gelegt, wie auch der neue ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel anerkennend feststellte.
Was hinterlässt der Schweizer als Erbe, worauf kann der Neue aufbauen und wo ist Verbesserungsbedarf beim Nationalteam?
Perspektive
Mehr als vier Jahre lang ging Marcel Koller mit einer wenig veränderten Stammbesetzung durch dick und dünn. Noch zur Zeit der EURO 2016 schien sich kaum ein neues Talent für eine Zukunft im Nationalteam aufzudrängen. Etliche Rücktritte, Verletzungen und zuletzt auch die zahlreichen Absagen zwangen Koller aber zum Aufbau eines verjüngten Teams.
Nach Neulingen wie Moritz Bauer, Kevin Danso oder Maximilian Wöber debütierten in Moldawien noch Philipp Lienhart und Philipp Schobesberger bei Koller. Unter seinem Nachfolger werden Talente wie Daniel Bachmann, Hannes Wolf oder Konrad Laimer folgen. „Wir haben dem neuen Teamchef ein paar junge Talente präsentiert“, sagte Koller, mahnte aber auch: „Sie brauchen Zeit.“
Teamgeist
Ob es in der Mannschaft rund um das EURO-Aus Streit gegeben hat, ist durch das Mitteilungsbedürfnis mancher Provinzfunktionäre wieder Thema geworden. Für die Spieler selbst gilt nach wie vor: Was im Teamcamp passiert, bleibt im Teamcamp. Eine Einstellung, von der manches ÖFB-Präsidiumsmitglied noch etwas lernen kann.
David Alaba
Die Kritiker von Österreichs teuerstem Fußballer frohlocken jetzt: „Es geht auch ohne Alaba.“Er hatte ver- letzungsbedingt abgesagt, ebenso weitere Fixposten wie Martin Harnik, Marcel Sabitzer und Martin Hinteregger. Die Siege gegen Serbien und Moldawien täuschen darüber hinweg, dass das Nationalteam auf Dauer nicht auf einen Mann mit der Qualität eines David Alaba verzichten kann.
Ein Neustart unter anderer Führung beim Nationalteam kann für den Bayern-Star eine Chance sein, auf welcher Position auch immer. Bei Koller konnte er mit den ihm gewährten Freiheiten nichts mehr anfangen. Der Superstar war zunehmend zum Problemfall geworden.
Betreuerstab
Der neue Teamchef kann auf ein Team mit hervorragenden Spezialisten, von Co-Trainer Thomas Janeschitz bis Sportwissenschafter Gerhard Zallinger, zurückgreifen. Manche werden aber die Rochade an der Spitze selbst für eine Veränderung nutzen, zudem wird der Neue seine eigenen Vertrauten mitbringen.
Ranking
Die zwei Siege zu Marcel Kollers Abschied könnten sich noch als sehr wertvoll erweisen. Österreich sicherte damit den Platz in der zweiten von vier Klassen in der neuen UEFA Nations League im Herbst 2018. Außerdem ist jeder gewonnene Punkt für die Topfeinteilung der nächsten EMQualifikation von Bedeutung.
Begeisterung
Vom Hype um das Team 2015/16 ist wenig geblieben. Kollers Nachfolger kann mit Erfolgen schnell wieder für ein volles Ernst-Happel-Stadion sorgen. Bemerkenswert ist, wie der Schweizer trotz verfehlter WMQualifikation unverändert populär bei den Fans blieb. Und es gab schon Stimmen, die meinten: Sollte es bei der Suche nach seinem Nachfolger aus irgendeinem Grund haken, könnte der Schweizer gleich noch bis zum Spiel gegen Uruguay am 14. November bleiben – Vertrag hätte er ja noch bis Jahresende …