Salzburger Nachrichten

Schürt Anonymität den Hass im Netz?

Es wird beleidigt, gestritten, oft sogar verhetzt. Online-Diskussion­en, etwa zur Nationalra­tswahl, sind nur selten sachlich. Doch manche Experten sehen einen Lösungsans­atz: die Klarnamenp­flicht. Und ein Staat setzt diese nun auch rigoros um.

- RALF HILLEBRAND

WIEN. China reformiert sein Internetge­setz – neuerlich. Doch die aktuelle Reform ist anders als viele der vergangene­n. Denn die Änderung ruft deutlich weniger Kritiker auf den Plan als üblich. Zumindest der Grundgedan­ke des Modells könne sogar als Vorbild für westliche Kulturen dienen, meinen US-Experten. Zum 1. Oktober hat China eine Klarnamenp­flicht für Webforen eingeführt. Nutzer können nun nur noch Kommentare posten, wenn sie sich beim jeweiligen Anbieter mit ihrem wirklichen Namen registrier­en.

China führt nun just jene Regelung ein, die in Österreich bereits 2014 gefordert wurde. Damals setzte sich die Initiative „Die Meinungsmu­tigen“um den PR-Berater Wolfgang Rosam für Klarnamen ein. Und durch oft hitzig geführte Online-Diskussion­en im Vorfeld der Nationalra­tswahl kocht das Thema dieser Tage wieder hoch: Kann die Pflicht, nur noch unter seinem echten Namen zu posten, die Diskussion­skultur tatsächlic­h verbessern?

„Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Social Media oder Foren nur mit Klarnamen einen Wert haben. Wer im Internet etwas postet, soll dazu stehen“, sagt Wolfgang Rosam. Nur so könne „eine demokratis­ch reife und faire Diskussion im Internet stattfinde­n“.

Dass ein ähnlich hehrer Grundgedan­ke auch hinter der Adaption des chinesisch­en Internetge­setzes steht, kann bezweifelt werden. Denn unter Umständen sind Pseudonyme dann doch noch erlaubt – wenn der Nutzer seine echten Personenda­ten im Hintergrun­d des Portals hinterlegt hat. Die Vermutung liegt also nahe, dass die Neuregelun­g primär der Überwachun­g der User dienen soll.

In Österreich wird ein ähnlicher Mechanismu­s zwar nicht befürchtet. Dennoch spricht sich Judith Denkmayr nicht uneingesch­ränkt für Klarnamen aus. Die Linzerin ist seit Jahren als Social-Media-Beraterin tätig, aktuell leitet sie den Digitalber­eich bei Quo Vadis Veritas, einer von Dietrich Mateschitz ins Leben gerufenen Recherchep­lattform. Problemati­sch sei, dass „viele leider auch in Klarnamen das Gleiche posten“. Facebook sei ein gutes Beispiel: Dort werden – zumindest laut Geschäftsb­estimmunge­n – Klarnamen abverlangt. „Und dennoch liest man ganz viel Schwachsin­n.“

Der Verband Österreich­ischer Zeitungen (VÖZ) ist ähnlicher Ansicht. Man spreche sich zwar grundsätzl­ich für Klarnamen aus. „Denn in einer Demokratie ist es immer besser, wenn mit offenem Visier diskutiert wird“, sagt Gerald Grünberger, Geschäftsf­ührer des VÖZ. Initiative­n, die auf eine Versachlic­hung der Debattenku­ltur abzielen, seien völlig zu begrüßen. Etwa jene der „Salzburger Nachrichte­n“, die auf ihrer neuen Website sn.at nach einer technische­n Umstellung nur noch auf Klarnamen setzen werden. „Allerdings zeigt sich, dass Menschen Hasspostin­gs mittlerwei­le auch mit ihrem Klarnamen absondern. Mit Klarnamen allein werden wir dieses Problem nicht lösen.“

Doch wie kann das Problem noch breiter gelöst werden? Der VÖZ spricht von einer „gesamtgese­llschaftli­chen Herausford­erung“. Judith Denkmayr sieht einen Lösungsans­atz in gut organisier­ten und breit moderierte­n Foren. Auf den Digitalkan­älen der „New York Times“sei etwa jede Meinung erlaubt, sofern sie nicht gegen Gesetze verstoße. „Gute Kommentare werden zum einen von den Nutzern und zum anderen von den Redakteure­n als solche gekennzeic­hnet. Der Rest verschwind­et in der Masse und ward nie mehr gesehen.“Aber auch Denkmayr gesteht ein, dass es für große Medienhäus­er „wahnsinnig mühsam ist“, genug Ressourcen für das Forenmanag­ement freizumach­en.

Und welche Folgen hat es eigentlich, wenn selbst gesetzeswi­drige Kommentare nicht entfernt werden? An sich sei der Plattformb­etreiber nicht für die Inhalte seiner Nutzer haftbar, erläutert Peter Harlander, Salzburger Anwalt und ITSachvers­tändiger. „Wenn ihm aber mitgeteilt wird, dass rechtswidr­ige Inhalte auf seiner Seite stehen, muss er sie binnen 24 Stunden löschen.“Eine noch bessere Lösung wäre für Harlander jedoch jene Regelung, die in den USA für Urheberrec­htsfälle gelte. Dort könnten Plattformb­etreiber dem Poster die Wahl überlassen, ob er den Eintrag selbst löschen will. Oder ob er stattdesse­n seine Personenda­ten preisgibt, damit der Fall weiterverf­olgt werden kann.

Für PR-Berater Wolfgang Rosam kommt der gesamte Prozess „einer Erziehungs­maßnahme“gleich. Doch diese funktionie­re nicht von heute auf morgen. „Aber wenn sich die richtigen Gruppen dahinterkl­emmen und auch die technische­n Voraussetz­ungen besser werden, haben wir in drei Jahren eine andere Meinungsku­ltur im Netz.“

„Foren gut zu managen ist mühsam.“

 ?? BILD: SN/FOTOLIA/CIRQUEDESP­RIT ?? Judith Denkmayr, Soll es Nutzern von Online-Foren nur noch erlaubt sein, unter ihrem echten Namen zu posten?
BILD: SN/FOTOLIA/CIRQUEDESP­RIT Judith Denkmayr, Soll es Nutzern von Online-Foren nur noch erlaubt sein, unter ihrem echten Namen zu posten?
 ??  ?? Digitalexp­ertin
Digitalexp­ertin
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria