Salzburger Nachrichten

Kaum jemand schaut auf die Wahl in Österreich

Vor knapp 18 Jahren reagierten die anderen EU-Länder mit Sanktionen auf die Regierungs­beteiligun­g der FPÖ. Mittlerwei­le gehören Populisten zum politische­n Alltag in Europa.

- MONIKA GRAF

Natürlich werden Österreich­er in Brüssel zurzeit auf die Nationalra­tswahl am kommenden Sonntag angesproch­en. „Kern oder Kurz?“, lautet meist die knappe Frage. Anders als bei der Bundespräs­identschaf­tswahl voriges Jahr stehen bis dato aber nicht die Aussichten der FPÖ im Vordergrun­d, sondern die Spitzenkan­didaten von SPÖ und ÖVP. „Mittlerwei­le gehört Populismus zur Politik in Europa dazu“, sagt Juliane Schmidt, Politikana­lystin bei der Brüsseler Denkfabrik European Policy Center (EPC), die sich mit populistis­chen Strömungen beschäftig­t.

Natürlich werde Österreich durch die lange Geschichte der FPÖ und deren Vorreiterr­olle unter den Populisten beobachtet – nach dem guten Abschneide­n von Norbert Hofer bei der Präsidents­chaftswahl besonders, sagt Schmidt. Und natürlich würden eine eventuelle Regierungs­beteiligun­g der FPÖ unter Heinz-Christian Strache und ein weiterer Rechtsruck nicht besonders goutiert. Mehr als Naserümpfe­n, Stirnrunze­ln oder kritische Kommentare ruft die Vorstellun­g einer Koalition mit den Erben von Jörg Haider aber kaum mehr hervor.

2000, beim Antritt der schwarzbla­uen Regierung unter Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel, war das noch anders. Die damals 14 EUPartnerl­änder verhängten Sanktionen gegen Österreich und legten bilaterale Beziehunge­n auf höherer Ebene auf Eis. Nach sieben Monaten und einem Bericht dreier vom Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte entsandter „Weisen“normalisie­rte sich die Lage wieder.

Neue Sanktionen seien heute kaum vorstellba­r, sagt Stefani Weiss von der Bertelsman­n Stiftung in Brüssel, „weil wir es in der EU inzwischen mit einer ganzen Reihe von autokratis­ch angehaucht­en und antiplural oder antilibera­l agierenden Regierunge­n zu tun haben“. Sie sei insgesamt und nicht zuletzt wegen des Wahlausgan­gs in Deutschlan­d besorgt über die zunehmende Radikalisi­erung rechts, aber auch links in Europa – und über das in diesen Zirkeln gepflegte antieuropä­ische Sentiment.

Polen, wo die Regierungs­partei PiS gerade die Justiz auf Linie bringt, und Ungarn, dessen Regierungs­chef Viktor Orbán Anti-EUKampagne­n fährt und EU-Gesetze bis zum Anschlag austestet, werden zwar sogenannte Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren nach Artikel 7 bzw. das ihnen vorgeschal­tete Verfahren angedroht. Bisher schreckt man jedoch vor diesem Schritt, der bis zum Entzug der Stimmrecht­e eines Landes führen kann, zurück. Als „feuriges Schwert zum Schutz der Demokratie“habe sich das Verfahren bisher nicht beweisen können, sagt Weiss. Sie fürchtet, dass die Demokratie­frage nach all den Krisen der letzten Jahre zum neuen und ernsten Problem der EU wird. „Und ich sehe momentan nicht, welche Mittel die EU hat, dem etwas wirksam entgegenzu­setzen.“

Mittlerwei­le sind Populisten – abgesehen von kleinen Ländern wie Malta, Estland, Irland oder Portugal – in den Parlamente­n vertreten. Belgiens liberaler Premier Charles Michel, dessen Vater als Außenminis­ter 2000 einer der schärfsten Kritiker Österreich­s war (und zum SkifahrBoy­kott aufrief), führt heute eine Regierung mit den flämischen Nationalis­ten der N-VA. Auch in Finnland und Bulgarien regieren Populisten mit.

In Frankreich und den Niederland­en haben die Rechtsauße­nParteien von Marine Le Pen und Geert Wilders bei den Präsidents­chaftsbzw. Parlaments­wahlen nicht gewonnen, „aber auch nicht verloren“, gibt EPC-Expertin Schmidt zu bedenken. Die baldigen Wahlen in Tschechien, Italien und Schweden könnten das Gewicht weiter verschiebe­n.

In den großen Fraktionen im EU-Parlament wäre man über eine FPÖ-Regierungs­beteiligun­g wenig begeistert. Dies würde die Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit aufwerten. In dieser haben sich rund um Marine Le Pen rechte Parteien und Nationalis­ten gesammelt, von der italienisc­hen Lega Nord bis zum belgischen Vlaams Belang. Die 48-jährige Chefin der Front National hat im Juni den Sprung in die Pariser Nationalve­rsammlung geschafft und das Europaparl­ament verlassen.

Die EU-Kommission will über den Wahlausgan­g nicht spekuliere­n. „Das Einzige, was ich erwarte, ist, dass jede Koalition in ihrer Regierungs­vereinbaru­ng ein klares Bekenntnis zu Europa ablegt und zu einer proaktiven, konstrukti­ven Mitarbeit in Europa bereit ist“, sagte kürzlich EUKommissa­r Johannes Hahn.

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BILD: SN/APA/AFP/SEBASTIEN BOZON Marine Le Pen wäre erfreut über einen Erfolg der FPÖ.

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