Das war die Sensation, und jetzt?
In der Koalitionsfrage sind nur drei Varianten möglich. Eine davon ist am wahrscheinlichsten.
WIEN. Nach diesem Wahlergebnis sind nur drei Koalitionsvarianten denkbar. Schwarz-Rot käme beim gegenwärtigen Stand der Stimmauszählung auf 114 Mandate, Schwarz-Blau auf 113 Sitze und RotBlau auf 103 Mandate. Nur diese drei Konstellationen haben eine Mehrheit im neu gewählten Parlament. Andere Koalitionen sind gar nicht möglich.
Welche der drei Varianten ist nun die wahrscheinlichste?
60% ÖVP/FPÖ
Die realistischste Variante ist eine schwarz-blaue Koalition. ÖVP und FPÖ sind die Sieger dieses Wahlsonntags und weisen auch starke inhaltliche Überschneidungen auf. In der Ausländerfrage hat ÖVPChef Sebastian Kurz großteils die Programmatik der FPÖ übernommen. Umgekehrt wirkt das freiheitliche Wirtschaftsprogramm wie von der ÖVP geschrieben.
Was die beiden Parteien trennt, ist die Europafrage. ÖVP-Chef Kurz wünscht sich – wie übrigens auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen – eine pro-europäische Regierung. Die FPÖ ist jedoch äußerst EU-kritisch. Das könnte bei den Koalitionsverhandlungen ein Problem werden, auch wenn die FPÖ zwischen Europa und der EU klar unterscheidet.
Ein Problem gibt es auch auf atmosphärischer Ebene. Teile der FPÖ glauben, dass ihr bescheidener Erfolg in der Wende-Regierung von 2000 bis 2006 auf eine schlechte Behandlung durch die ÖVP zurückzuführen gewesen sei. Das wirkt bis heute nach. Dass die FPÖ-Vertreter am Wahlabend unisono „Verhandlungen auf Augenhöhe“verlangten, war eindeutig an die Adresse der ÖVP gerichtet.
Auf der anderen Seite gab es auch in der ÖVP immer gewichtige Stimmen gegen eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen. Nach seinem Wahlsieg wird hier aber Sebastian Kurz das letzte Wort haben.
25% ÖVP/SPÖ
Eine Zusammenarbeit von Schwarz und Rot unter einem ÖVP-Bundeskanzler hat es zum letzten Mal vor mehr als einem halben Jahrhundert, nämlich von 1962 bis 1966, gegeben. Allein das zeigt, wie umwälzend dieses Wahlergebnis ist.
Ob Sebastian Kurz nach einem Wahlkampf, in dem er ausdrücklich „Neues“versprach, Lust auf eine Fortsetzung der alten Großen Koalition hat, ist äußerst fraglich. Ob die geschlagene Sozialdemokratie umgekehrt Lust hat, Kurz zum Kanzler zu machen, ebenso.
Allerdings sollte man die Macht der Großkoalitionäre in beiden Lagern nicht unterschätzen. Vor allem die Interessenvertreter sind an einem Fortbestand der Sozialpartnerschaft interessiert, und das ist nur in einer Großen Koalition wirklich garantiert.
Entscheidend wird daher auf SPÖ-Seite sein, wie sich die roten Gewerkschafter in der Koalitionsfrage entscheiden.
15% SPÖ/FPÖ
Die unwahrscheinlichste Variante ist eine rot-blaue Koalition. Zwar hat sich die SPÖ am Beginn des Wahlkampfes prinzipiell die Möglichkeit eines Zusammengehens mit der FPÖ eröffnet. Für die in Flügelkämpfe verstrickten Sozialdemokraten wäre dies aber eine Zerreißprobe. Der linke Parteiflügel hält von einer Koalition mit den Freiheitlichen nichts, wie am Wahlabend Wiens Bürgermeister Michael Häupl nochmals unterstrich.
Auch der nun abgewählte Kanzler Christian Kern hat bereits im Wahlkampf durchblicken lassen, wie wenig er von der blauen Option hält. Außerdem hat die SPÖ beschlossen, jeglichen Koalitionspakt einer Urabstimmung durch ihre Parteimitglieder zu unterziehen. Eine Mehrheit für eine Zusammenarbeit mit den viele Jahre lang von der SPÖ ausgegrenzten Blauen wäre extrem unwahrscheinlich.
Als theoretische Variante im Koalitionspoker wird Rot-Blau aber noch eine Rolle spielen, können doch beide Parteien damit Druck auf die ÖVP ausüben und ihre Verhandlungsposition verbessern.
Wie geht es technisch weiter? Der erwähnte Poker um die Zusammensetzung der nächsten Regierung beginnt offiziell erst, wenn der Bundespräsident den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt hat. Dieser Formalschritt wird noch auf sich warten lassen, denn davor möchte Van der Bellen Gespräche mit allen Parteichefs führen.