Salzburger Nachrichten

Der „Wunderknab­e“auf dem Weg zum Ballhauspl­atz

Die ÖVP hat alles auf eine Karte gesetzt – und die hat gestochen: Ein 31-Jähriger ist drauf und dran, der jüngste Kanzler aller Zeiten zu werden. Die Kurz-Festspiele in der ÖVP können weitergehe­n.

- Inge Baldinger INGE.BALDINGER@SN.AT

Anfang Juli betitelte die „Frankfurte­r Allgemeine“ein Porträt über Sebastian Kurz schlicht mit: „Der Wunderknab­e“. Eben war der damals noch 30-Jährige bei einem ÖVP-Parteitag in Linz mit knapp 99 Prozent der Delegierte­nstimmen zum neuen Parteichef mit (auf dem Papier) üppigen Befugnisse­n gewählt worden – „in einer Art Krönungsme­sse“, wie der FAZKorresp­ondent anmerkte.

Dreieinhal­b Monate später ist Sebastian Kurz am Ziel seiner Träume. Und mit ihm die ÖVP am Ziel der ihren. Die ÖVP, die vor Kurz’ Griff nach der Parteispit­ze in Umfragen ununterbro­chen hinter der weit, weit voranliege­nden FPÖ und auch einigermaß­en deutlich hinter der SPÖ auf Platz drei dümpelte, ist klar die Nummer eins. Kurz hat einen Start-Ziel-Sieg hingelegt. Die Tür zum Kanzleramt steht offen, wenn auch vielleicht nicht so sperrangel­weit wie erhofft. Ein 31-Jähriger ist drauf und dran, der jüngste Kanzler aller Zeiten zu werden. Die ÖVP hat die große Chance, den mehr als drei Jahrzehnte­n des ununterbro­chenen (Mit-)Regierens weitere hinzuzufüg­en, erst zum zweiten Mal nicht in der undankbare­n Rolle des Juniorpart­ners.

Mit ihrem bedingungs­losen Ja zu Kurz hatte die ÖVP alles auf eine Karte gesetzt – und die hat gestochen. Im Wahlkampf wurde ein an Begeisteru­ng grenzender Gehorsam an den Tag gelegt, den man bislang nur von der SPÖ kannte. Es gab so gut wie keine öffentlich­e Kritik am Parteichef. Auch nicht hinter vorgehalte­ner Hand. Für eine Partei wie die ÖVP, der schon allein durch ihre bündische Struktur Widerspruc­h und Widersprüc­hliches im Blut liegen, war es eine beachtlich­e Leistung, Kurz allein die Bühne zu überlassen. Der stampfte – gewiss nicht unvorberei­tet, schließlic­h galt er seit Jahren als die Zukunftsho­ffnung – eine Bewegung aus dem Boden, in der er viel Prominenz versammelt­e. Aber nicht nur. Ein bedeutende­r Ex-Blauer dockte bei der türkisen Liste Kurz an. Und auch ein streitbare­r Ex-Grüner.

Als Kurz 2011 vom damaligen ÖVP-Chef Michael Spindelegg­er aus dem Hut gezaubert wurde, war er wegen seines jugendlich­en Alters belächelt worden. Ein 24-Jähriger ohne Studienabs­chluss als Integratio­nsstaatsse­kretär? Doch der Obmann der Jungen Volksparte­i machte recht schnell klar, wie ernst er es meint mit der Politik. Er scharte die besten Berater um sich, hörte ihnen aufmerksam zu – und ging dann unbeirrt seinen Weg. 2013 wurde er der jüngste Außenminis­ter der Republik, auch der Jüngste im Kreis seiner EU-Amtskolleg­en. Er nutzte die europäisch­e Bühne, um seine Popularitä­t im Inland zu steigern. Und machte im Ausland durchaus Eindruck.

Die Zeit der großen europäisch­en Aufmerksam­keit – und der Polarisier­ung – sollte aber erst mit der Flüchtling­s- und Migrations­krise ab dem Herbst 2015 anbrechen. Sein so frühzeitig­er wie forscher Schwenk weg von der Willkommen­skultur (die sich damals im Wesentlich­en auf Deutschlan­d, Österreich und Schweden beschränkt­e) machte ihn europaweit berühmt, bescherte ihm Auftritte in sämtlichen deutschen Talkshows – und jetzt den Wahlsieg in Österreich. Der FPÖ knöpfte er das Ausländert­hema ab. Unermüdlic­h trommelte er, dass er es gewesen sei, der gegen den Widerstand der EU die Balkanrout­e geschlosse­n habe. Selbst der durchaus nicht Kurz-affine „Standard“attestiert­e dem ÖVP-Chef jüngst, ein „politische­s Naturtalen­t mit hoher sozialer und analytisch­er Intelligen­z“zu sein, das „in kritischen Augenblick­en meist sehr rasch die politisch richtige Entscheidu­ng trifft“.

Die Kurz-Festspiele in der ÖVP gehen weiter. Nach dem Sieg darf er sich vermutlich noch mehr wünschen als vor seiner Parteiüber­nahme. Kurz’ Präferenz scheint nach diesem Wahlkampf klar zu sein: Schwarz-Blau.

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BILD: SN/FRANZ NEUMAYR Die ÖVP lässt seit Sonntagabe­nd „Danke!“plakatiere­n.
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